Zähes Ringen um EU-Spitzenämter
Beim EU-Gipfel in Brüssel hat sich gestern noch keine Lösung bei der Vergabe der Führungsposten in den wichtigsten EU-Institutionen abgezeichnet. Unmittelbar vor dem Gipfel hatte allerdings Bundesbankpräsident Jens Weidmann mit Aussagen zum OMT-Anleihekaufprogramm aufhorchen lassen.ahe/ms Brüssel/Frankfurt – Die Situation rund um die Vergabe der EU-Top-Jobs bleibt verfahren. Beim Auftakt der zweitägigen Beratungen der Staats- und Regierungschefs, die bei Redaktionsschluss noch andauerten, zeichnete sich keinerlei Kompromissoption ab. “In diesem Moment ist eine Lösung weit entfernt”, sagte EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani am frühen Abend in Brüssel. Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte nach einer Vorbesprechung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron vor Beginn der Beratungen schon seine Zuversicht verloren. “Gestern war ich vorsichtig optimistisch. Heute bin ich eher vorsichtig als optimistisch”, twittert er.Merkel bezeichnete es als “nicht so sehr bedrohlich”, wenn auf dem Gipfel noch keine Entscheidungen fallen würden. “Wir haben noch ein paar Tage Zeit.” Die Bundesregierung geht aber fest davon, dass eine Verständigung noch vor dem 2. Juli gelingt, wenn das neue EU-Parlament zu seiner ersten Sitzung zusammenkommt und einen neuen Präsidenten wählt. In dem Personalpoker geht es neben diesem Posten auch um die Präsidentenämter der EU-Kommission, des EU-Rates, der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie das Amt des EU-Außenbeauftragten. Es gehe oft schneller, einen Papst auszuwählen als sich auf diese Positionen zu verständigen, merkte der irische Ministerpräsident Leo Varadkar sarkastisch an. Im Gespräch war gestern bereits ein Sondergipfel Ende Juni oder Anfang Juli. Laut EU-Vertrag müssen die Staats- und Regierungschefs einen Präsidenten für die Europäische Kommission vorschlagen – das EU-Parlament muss diesen Kandidaten aber bestätigen. Neue Chance auf EZB-Posten?Unmittelbar vor dem Gipfel hatte Bundesbankpräsident Jens Weidmann, der als Kandidat für die Nachfolge von EZB-Präsident Mario Draghi gilt, mit Aussagen zum OMT-Staatsanleihekaufprogramm aufhorchen lassen. Mit OMT (Outright Monetary Transactions) hatte die EZB 2012 in Aussicht gestellt, im Notfall die Staatsanleihen kriselnder Euro-Staaten aufzukaufen. Weidmann hatte OMT im Jahr 2012 als einziger im EZB-Rat abgelehnt. OMT ist nie aktiviert worden, aber zuletzt hatte sich die Frage, wie es Weidmann als EZB-Präsident damit hielte, zu einer Schlüsselfrage entwickelt. Vor allem im Euro-Süden stößt Weidmann auf viel Gegenwind.”Inzwischen hat sich der Europäische Gerichtshof mit dem OMT befasst und festgestellt, dass es rechtens ist. Im Übrigen ist das OMT geltende Beschlusslage”, sagte Weidmann nun der “Zeit”. Er fügte aber hinzu: “Meine Argumentation war aber auch keine rechtliche, sondern mich hat die Sorge umgetrieben, dass die Geldpolitik ins Schlepptau der Fiskalpolitik geraten kann. Natürlich muss eine Notenbank im Fall der Fälle entschlossen handeln, vor dem Hintergrund ihrer Unabhängigkeit sollte aber kein Zweifel bestehen, dass sie sich damit im Rahmen ihres Mandats bewegt.”Mancher Beobachter wertete das als Kehrtwende oder gar Einknicken Weidmanns gegenüber seinen Kritikern. Die Bundesbank versuchte, diesem Eindruck entgegenzutreten: “Weidmann hat in seinen Argumenten immer politisch-ökonomische und wirtschaftliche Argumente verwendet und nie ein rechtliches Urteil über OMT gefällt”, hieß es in einer E-Mail: “Er hat immer gesagt, dass es Sache der Gerichte ist, darüber zu entscheiden. In diesem Zusammenhang stellen die heutigen Kommentare keine Änderung in seiner Einstellung gegenüber OMT dar.”Der Personalpoker stand gestern erst zum Abendessen auf der Gipfel-Agenda. Zunächst ging es um die sogenannte strategische Agenda für die Arbeit der EU in den kommenden fünf Jahren. Macron und Merkel stellten sich gestern hinter die Forderung einer Klimaneutralität der EU bis 2050. Mittlerweile seien 15 EU-Staaten dafür, sagte Macron. Unter anderem die osteuropäischen Länder lehnten diese Festlegung ab.Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag pochte auf rasche Entscheidungen, damit die EU handlungsfähig bleibe. “Für die deutschen Unternehmen, die 60 % ihres Außenhandels mit anderen EU-Ländern abwickeln, gehört dazu vor allem die Erhöhung der Krisenfestigkeit der Währungsunion”, sagt DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert von der neuen EU-Kommission unter anderem Investitionen in Verkehrs- und Energienetze sowie die digitale Infrastruktur.