Zeitgewinn allein ist keine Lösung
In einem marktwirtschaftlichen System werden strukturelle Veränderungen über Marktprozesse ausgeglichen. Geht etwa für eine Branche die Nachfrage dramatisch zurück, dann muss über Preissenkungen für die eignen Produkte und über Kostensenkungen (etwa durch Rationalisierung) die Anpassung der Produktion an die gesunkene Nachfrage angestrebt werden. Eine solche Politik verlangt zweifellos Zeit, und deshalb mag es sinnvoll sein, dem betroffenen Unternehmen vorübergehend staatliche Mittel (Subventionen) zur Verfügung zu stellen. Damit soll Zeit für den Anpassungs- und Reformprozess gewonnen werden. Allerdings ist eine solche Politik nur unter folgenden Bedingungen vertretbar: Die Hilfe muss zeitlich und quantitativ eindeutig begrenzt sein, und sie sollte den Anpassungsprozess im Unternehmen fördern, darf ihn aber unter keinen Umständen behindern. Kontrollen des Unternehmens, ob die Bedingungen auch eingehalten werden, sind geboten. Die vielfältigen Misserfolge der staatlichen Subventionspolitik sind vor allem darauf zurückzuführen, dass diese Anforderungen nicht eingehalten worden sind. Gleiches Prinzip bei StaatenDiese Zusammenhänge gelten nicht nur für private Unternehmen, sondern auch für Staaten, deren Wettbewerbsfähigkeit abhanden gekommen ist. Als wegen struktureller Umbrüche die Bundesländer Bremen und Saarland in eine Haushaltsnotlage gerieten, aus der sie sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes nicht selbst befreien konnten, war von der Sache her die Gewährung einer Sanierungshilfe durch den Bund vertretbar. Damit wurde Zeit gewonnen, den Anpassungsprozess in diesen beiden Bundesländern zeitlich zu strecken und damit erträglicher zu machen.Allerdings hätte eine solche Nothilfe nur unter strengen Auflagen gewährt werden dürfen: Die Mittel hätten von den Bundesländern so eingesetzt werden müssen, dass sie den Abbau der hohen Defizite auch tatsächlich gefördert hätten. Die Ursachen für die Haushaltsnotlage hätten also angegangen werden müssen. Die Regelung sah damals vor, dass die Sanierungshilfen nur für Investitionen und Schuldentilgung verwendet werden durften. Offenbar war das aber nicht hinreichend, denn die Defizitlage (vor allem in Bremen) hat sich trotz Zahlung der Haushaltsnothilfe nicht deutlich verbessert.Die Haushaltsnothilfe wurde in der Form von Sonder-Bundesergänzungszuweisungen gewährt, die grundsätzlich ungebundene Transfers sind. Die unterstützten Bundesländer mussten lediglich im (damaligen) Finanzplanungsrat, einem Gremium ohne Entscheidungskompetenzen, über ihre Sanierungsprogramme berichten; der Bund konnte diese Programme nur zur Kenntnis nehmen. Sanktionsmaßnahmen (auch etwa hinsichtlich der weiteren Zahlung von Nothilfen) gab es nicht. Im Falle Griechenlands war von Anfang an klar, dass die Ursachen für die beiden zentralen Probleme des Landes, das hohe Staatsdefizit und die fehlende Wettbewerbsfähigkeit, nur durch einen Anpassungs- und Reformprozess angegangen werden konnten. Für die Gewährung umfangreicher Transfers, wie sie seit 2010 gezahlt worden sind, gab es nur eine Rechtfertigung: Der unabdingbare und für das Land zweifellos harte Reformprozess konnte so wiederum zeitlich gestreckt und damit erleichtert werden. Die Hilfeleistungen waren nur zu vertreten, wenn der Reformprozess dadurch gefördert und nicht behindert wird. Ansonsten wäre es von Anfang an ein Zahlen in ein “Fass ohne Boden” gewesen, und man hätte bereits 2010 den “Grexit” empfehlen müssen, wie ich es in dieser Zeitung (vgl. BZ vom 4.5.2010) auch getan habe. Wenn Griechenland nunmehr die Zusammenarbeit mit der Troika (Vertreter der Kreditgeber EU, EZB und IMF) beenden und bereits durchgeführte Reformmaßnahmen wieder rückgängig machen will, wird es höchste Zeit, die Hilfsleistungen einzustellen und Griechenland den “Grexit” zu empfehlen.Immerhin hat man – wahrscheinlich auf Drängen der Bundesregierung, die ihre Erfahrungen mit der Nothilfe für Bremen und Saarland ja schon gemacht hatte – Mechanismen eingebaut, die derzeit weitere Hilfen an die positive Beurteilung des bisherigen Prozesses durch die Troika und die Fortsetzung der Reformbemühungen binden. Man kann nur hoffen, dass dieser Grundsatz durchgehalten wird. Die bisherigen Erfahrungen mit den verbindlich getroffenen Vereinbarungen in der Europäischen Währungsunion lassen leider eher Zweifel aufkommen.—-Prof. Rolf Peffekoven, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen