nh Schanghai – Sollte ein gewisser Donald Trump als Sieger aus den US-Wahlen hervorgehen, wird man in Europa durchgehend lange Gesichter und in China überwiegend verschmitzte Mienen sehen. Im Zweifel auch in Chinas oberster Führungsetage. Das mag auf den ersten Blick verblüffend wirken, denn schließlich hat der schon bei der vorherigen Wahl mit aggressiver China-Rhetorik hantierende US-Präsident dem Reich der Mitte mit einem ausufernden Handelsstreit und zuletzt immer härteren Angriffen auf Vorzeigeunternehmen aus dem Technologiesektor heftig zugesetzt.Mit seiner erratischen Vorgehensweise und wechselnden Gemütslagen hat Trump zwar Chinas Regierung und Wirtschaftsplaner immer wieder zur Verzweiflung gebracht. Es ist ihm aber eben nicht gelungen, eine systematische Linie zu finden, um im Bündnis mit Alliierten den gefürchteten industriepolitischen Vormarsch Chinas auch nur annähernd aus dem Tritt zu bringen. Darüber hinaus wird in China das unübersehbare Verwaltungschaos in den USA, die wachsende Zersplitterung der Gesellschaft und das verantwortungslose Vorgehen in Sachen Corona-Pandemie insofern goutiert, als man darin eine klare Schwächung der bislang unangefochtenen Vormachtstellung der USA im globalen Rund wähnt.Ein zerstrittenes Land mit einem unfähigen Lenker wird von vielen Chinesen als eine historische Chance begriffen, Chinas Machtstellung in der Welt auszudehnen und die Ein-China-Politik gar mit einer militärischen Vereinnahmung Taiwans zu untermauern. Das wäre unter einem Präsidenten Biden, der mit dem heimischen Militär und westlichen Bündnispartnern an einem Strang zieht, schwerer möglich. Trumps zweite Amtszeit könnte ironischerweise geradezu unter dem Motto “Make China great again” stehen.