Schwellenländer

Zwischen Wende und Wirkungstreffer

Die Coronakrise verschärft die Ungleichheit zwischen Industriestaaten und Entwicklungs- bzw. Schwellenländern.

Zwischen Wende und Wirkungstreffer

rec Frankfurt

Es klingt wie ein Appell, bei aller Zuversicht angesichts der Aussichten auf einen historisch starken Konjunkturaufschwung Schwellen- und Entwicklungsländer nicht zu vergessen: „Während Chinas Bruttoinlandsprodukt bereits 2020 auf das Niveau von vor der Pandemie zurückgekehrt ist, ist dies in vielen anderen Ländern nicht vor 2023 zu erwarten“, mahnt IWF-Chefvolkswirtin Gita Gopinath in einem Blogbeitrag, der parallel zum Wirtschaftsausblick des Internationalen Währungsfonds (IWF) erschienen ist (siehe Text oben). Die ungleichmäßige Erholung werde voraussichtlich dazu führen, dass die Lebensstandards weiter auseinanderklaffen, als vor der Pandemie erwartet worden war.

Der IWF bringt damit Besorgnis über die Lage in vielen Ländern aus der zweiten und dritten Reihe der Weltwirtschaft zum Ausdruck – just in einer Phase, da ein gemeinsamer Ausweg aus der Pandemie gefunden und die Wende zum Besseren eingeleitet zu sein scheint. Zwei wesentliche Erkenntnisse lassen sich aus Gopinaths Worten ableiten: Zum einen zementiert die Coronakrise den Eindruck, dass China sich ein für alle Mal vom Rest des Schwellenländeruniversums abgesetzt hat. Zum anderen hat die Pandemie vielerorts Wirkungstreffer hinterlassen, die über Jahre auf etlichen Volkswirtschaften lasten werden. Das macht mühevolle Errungenschaften etwa in der Armutsbekämpfung zunichte. Die globale Ungleichheit nimmt zu.

Unterschiedliche Wucht

Die Ökonomen des Währungsfonds unterfüttern dies mit Berechnungen zur Einkommensentwicklung und zur Summe aller in einer Volkswirtschaft erzeugten Güter und Dienstleistungen (Output). Demnach kommt die Weltwirtschaft als Ganze zwar ökonomisch deutlich glimpflicher davon als im Zuge der Weltfinanzkrise 2008/09. Allerdings gilt dies in erster Linie für die Industriestaaten. Deutlich durchwachsener dürfte die Bilanz der Schwellenländer ausfallen. Düster ist das Bild hingegen für Entwicklungsländer, die bis 2024 im Durchschnitt sogar weiter zurückgeworfen werden dürften als vier Jahre nach Ausbruch der globalen Finanzkrise (siehe Grafik).

Wie groß der mittelfristige Schaden ausfallen wird, lässt auch eine Analyse zur sogenannten Produktionslücke (Output Gap) erahnen. Die Differenz zwischen möglichem und realisiertem Ausstoß dürfte unter den führenden Schwellenländern demnach in Indien mit knapp 6% in 2020 und 2021 am größten sein und in den nächsten beiden Jahren bei über 1,5% liegen. Die nächstgrößeren Produktionslücken klaffen in Mexiko und Indonesien mit circa 4,5% im Durchschnitt von 2020 und 2021. Es folgen Südafrika und Brasilien mit um die 3%. Das einst als Wirtschaftswunderland gehandelte Indien ist ein besonders krasses Beispiel für die wirtschaftlichen Verwerfungen: Hier ist laut jüngster IWF-Prognose in diesem Jahr zwar mit einem Wirtschaftswachstum von 11,5% zu rechnen. Dieser (leicht nach oben revidierte) Spitzenwert relativiert sich allerdings mit Blick auf das Minus von geschätzt 8,0% im vorigen Jahr. Über alle Schwellen- und Entwicklungsländer hinweg – einschließlich China – erwartet der IWF dieses Jahr ein Plus von 6,7%, geringfügig mehr als zuletzt.

Die unterschiedliche Wucht der Krise ist auch auf Konten und in Geldbörsen zu spüren. Laut IWF müssen Menschen in Niedriglohnländern mit durchschnittlich 5,7% weniger Einkommen pro Jahr rechnen, in Schwellenländern mit 4,7% weniger; China ausgenommen, belaufen sich die Pro-Kopf-Verluste sogar auf 6,1%. In den Industriestaaten fallen die Einbußen mit −2,3% moderater aus. „Damit sind 2020 voraussichtlich weitere 95 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze gerutscht“, warnt Gopinath. Ohne Gegensteuern könnten sich seit Jahrzehnten bestehende Trends der weltweiten Verringerung von Armut umkehren.

Kritisch bemerkt der IWF auch die ungleiche Verteilung von Impfstoffen gegen das Coronavirus. Schon die Chefin der Welthandelsorganisation, Ngozi Okonjo-Iweala, hatte die Weltgemeinschaft bei der fairen Verteilung von Impfstoffen auf breiter Front in die Pflicht genommen: Dies sei „der beste Stimulus für die Erholung der Weltwirtschaft“.