2021 ist nicht 2000
Rund um die Welt haben Unternehmen in diesem Jahr bei Börsengängen bisher so viel frisches Eigenkapital eingesammelt wie niemals zuvor. So wurden in den ersten sechs Monaten des Jahres global fast 350 Mrd. Dollar (295 Mrd. Euro) über Börsengänge beschafft. Der bisherige Rekord aus dem zweiten Halbjahr 2020 lag bei 282 Mrd. Dollar. Bereits 15 deutsche Unternehmen wagten seit Jahresbeginn den Schritt aufs Frankfurter Börsenparkett. Sie spielten addiert 9 Mrd. Euro an Erlösen ein. Das ist mehr als in der zweiten Hälfte des Jahres 2000, als der Dotcom-Boom bald darauf mit einem großen Crash endete.
Sicherlich gibt es Parallelen zum Jahr 2000. Die Bewertungen haben aktuell mit oftmals dem Zwanzigfachen des Gewinns schon ähnliche Höhen erklommen. Es gibt jedoch auch bedeutende Unterschiede: Damals waren die Unternehmen sehr jung und hatten oft nicht mehr zu bieten als geschönte Klickzahlen. Dieses Mal sind sie oft zehn Jahre alt und machen immerhin schon Umsatz, oft auch Gewinn. Viele Unternehmen nehmen sich heute länger Zeit, bis sie an die Börse gehen. Amazon wurde 1994 gegründet und startete 1997 an der Börse. Aber Spotify wurde schon 2006 gegründet und landete erst 2018 an der Börse – mit gleich 27 Mrd. Dollar Marktkapitalisierung.
Auf die Börse vorbereitet werden die heutigen Jungunternehmen unter der Ägide erfahrener Großinvestoren. Da sind die Family Offices der Milliardärsfamilien, aber auch große Private-Equity-Häuser und Wagniskapitalgesellschaften, die mit inzwischen milliardenschweren Finanzierungsrunden immer neue „Einhörner“ in Deutschland züchten. Als der Ansturm auf die Börse im vergangenen Jahr begann, dominierte die Technologiebranche die Szene. In diesem Jahr wagen vermehrt auch Unternehmen aus dem Bereich erneuerbarer Energien wie etwa der Solarparkbetreiber Blue Elephant und Online-Händler wie Auto1, About You und Mister Spex den Sprung aufs Handelsparkett.
Bei den Börsengängen werden die neuen Aktien immer häufiger vorab bei institutionellen Investoren privat platziert. Ankerinvestoren, die ihre Zusagen schon zu Beginn des Bookbuildings machen, werden eingesetzt, um den Preis nach oben zu ziehen. Die Folge des geschickten Vorgehens der Emissionsbanken sind oft Bewertungen, die so hoch sind, dass die Kurse am ersten Handelstag nachgeben – oder zumindest sobald keine Kurspflege mehr betrieben wird.
An die Börse gelockt werden die Unternehmen und ihre Eigentümer, die beim IPO Kasse machen wollen, von den rekordhohen Aktienkursen. Der offene Geldhahn der Notenbanken sowie deren Anleihekäufe, die die Renditen aus Anleihen auf Rekordtiefs drücken, und die billionenschweren staatlichen Konjunkturprogramme heben mit ihrer Flut von „Fantastilliarden“ alle Boote. Das Geld muss renditeträchtig angelegt werden, und so wird es eben investiert – auch in neue Aktien.
Die Frage ist, wie lange das noch so weitergeht. Die steigende Inflation, die Diskussionen um eine Reduktion der Anleihekäufe durch die Notenbanken, wachsender Margendruck, eine höhere Besteuerung der Unternehmen, das Aufleben der Corona-Delta-Variante und die beschleunigte Energiewende sorgen für Unsicherheit an den Märkten. Schon hat der Online-Neuwagenanbieter Meinauto sein IPO im Mai inmitten eines vorübergehenden Ausverkaufs von Tech-Aktien in letzter Minute abgeblasen. BASF hat den Börsengang der Öl- und Gastochter Wintershall zum zweiten Mal verschoben. Und wer an die Börse gekommen ist, hat nicht immer eine gute Kursentwicklung geliefert: Der Kurs des mit 7,6 Mrd. Euro (!) bewerteten Online-Gebrauchtwagenhändlers Auto1 aus dem Softbank-Portfolio notiert mit aktuell 35,90 Euro deutlich unter dem Ausgabepreis von 38 Euro. Immerhin handelt es sich hier um den zweitgrößten deutschen Börsengang in diesem Jahr.
Der IPO-Markt ist nicht nur heiß, er wirkt inzwischen ein wenig überhitzt. Es wird nicht viel brauchen, damit der Boom pausiert oder endet. Ein wenig Zweifel daran, ob das Notenbankgeld weiter so üppig fließt, dürfte genügen. Es muss nicht eine Blase sein, die platzt. Aber ein wenig Luft wird wohl abgelassen werden. Die Investoren werden angesichts der Überfülle an Börsengängen wählerischer werden. Eine Katastrophe ist das nicht. Auch wenn die Kurse wieder fallen, werden etliche innovative Unternehmen übrig bleiben, die mit dem Geld aus den IPOs expandieren konnten. Insofern könnte 2021 als Gründerzeit in die Geschichte eingehen.