LeitartikelQuantencomputing

Abgehängt

Quantencomputing wird die digitale Welt ablösen. Doch wie schon bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz und Biotechnologie spielt Europa keine große Rolle mehr. Die USA und die Volksrepublik China sind die entscheidenden Akteure.

Abgehängt

Quantencomputing

Abgehängt

Von Andreas Hippin

Quantencomputing wird die digitale Welt ablösen. Wer sich bei Zukunftstechnologien auf Risiken kapriziert, lässt Chancen liegen.

Kaum hat man sich an die Digitalisierung gewöhnt, werden die Supercomputer von einst auch schon von einer neuen Technologie überholt: Quantencomputing. Sie ermöglicht eine nahezu unvorstellbare Steigerung der Rechenleistung, während das Silizium-Zeitalter dem Ende zugeht, weil die Miniaturisierung von Transistoren an ihre physikalischen Grenzen stößt. Die Grundlagen wurden einst von europäischen Forschern wie Max Planck und Erwin Schrödinger geschaffen. Im Wettstreit um den leistungsfähigsten Rechner spielt der alte Kontinent jedoch keine Rolle mehr. Dieser findet zwischen der Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China statt. Als Wissenschaftler aus dem Reich der Mitte vor ein paar Jahren einen Durchbruch verkündeten, lag ein Hauch von Sputnikschock in der Luft. Als sie vor kurzem behaupteten, mit ihrem Quantencomputer ein gängiges Verschlüsselungssystem knacken zu können, hielt man in Washington kurz die Luft an. Schließlich würde das den Zugang zu geschützten Daten weltweit eröffnen. Auch die Blockchain wirkte plötzlich angreifbar. Am Ende gaben Sicherheitsexperten Entwarnung.

Doch Quantencomputing ist weit mehr als ein Aspekt des neuen Kalten Kriegs. Es könnte zur Entwicklung neuer Medikamente ebenso beitragen wie zur Bewältigung des Klimawandels. Mercedes-Benz greift bei der Erforschung der Zukunft elektrischer Fahrzeuge darauf zurück, ExxonMobil zur Lösung komplexer Herausforderungen bei der Energieversorgung. Die Forscher des europäischen Forschungszentrums Cern arbeiten damit, um kosmische Geheimnisse zu erklären. Halten wir die technischen Details so kurz wie möglich: Die sogenannten Qubits sind zu mehr in der Lage als Bits. Statt entweder 0 oder 1 können sie alle möglichen Werte zwischen 0 und 1 annehmen. Ihre Zustände sind nicht unabhängig voneinander wie bei traditionellen Bits. Kommt ein Qubit neu hinzu, kann das alle schon vorhandenen Qubits beeinflussen. Dadurch verdoppelt sich die Zahl der möglichen Interaktionen durch jedes zusätzliche Qubit.  Es sind bekannte Namen, die sich in diesem Geschäft tummeln: Google mit ihrem Sycamore-Prozessor, IBM mit ihrem Modell Eagle, Intel und Microsoft. Sie wissen, dass sie ganz vorn mit dabei sein müssen, um keinen Bedeutungsverlust zu erleiden. Noch geht es um Prototypen. Die Schwierigkeiten, die überwunden werden müssen, bis Quantencomputer an die Stelle der digitalen Rechner treten werden, sind immens. Das Problem von Ansätzen, die auf Supraleiter zurückgreifen, besteht darin, dass solche Rechner auf nahezu den absoluten Nullpunkt gekühlt werden müssen. Doch das Tempo der Entwicklung ist enorm. Und es gibt auch Firmen, die sich bei ihren Entwicklungen auf Ionenfallen (IonQ) oder Fotonik (Psiquantum) fokussieren. Bei Optimierungsaufgaben und Simulationen – etwa von chemischen Prozessen auf molekularer Ebene – kann die neue Technologie punkten, in Kombination mit künstlicher Intelligenz (KI) läuft sie zu Höchstform auf. In Verbindung mit Biotechnologie entsteht ein neues Forschungsfeld: die Quantenmedizin. Der New Yorker Professor Michio Kaku ist Optimist: Mit Hilfe von Quantencomputing ließe sich vielleicht das Haber-Bosch-Verfahren zur Herstellung von Stickstoffdünger durch eine weniger energieintensive Methode ersetzen – ein Beitrag zur Welternährung und zum Klimaschutz gleichermaßen.

Investoren haben das Thema längst für sich entdeckt. Die 2016 gegründete Psiquantum sammelte 665 Mill. Dollar von Investoren wie Baillie Gifford und Temasek ein, ohne marktfähige Produkte zu haben. Eine weitere Finanzierungsrunde sicherte dem Start-up 2021 eine Bewertung von 3,1 Mrd. Dollar. Der erste Quantencomputing-Hype ließ an der Börse allerdings schnell wieder nach, als den Anlegern klar wurde, dass es noch einige Zeit dauern könnte, bis kommerzielle Produkte an den Start gebracht werden können. Eigentlich wäre in so einem Fall Industriepolitik angesagt. Biotechnologie, KI und Quantencomputing sind Zukunftstechnologien, die dringend gefördert werden müssen, will man in Europa nicht komplett abgehängt werden. Bislang hat man sich dort vielerorts auf die Risiken fokussiert und dabei die Chancen liegen gelassen. Doch gerade um mögliche Gefahren abzuwenden, wäre es besser, wenn diese Technologien in einem gut regulierten Umfeld entwickelt würden.

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