Alles, bloß nicht England
In Schottland war die Enttäuschung groß darüber, dass der „Auld Enemy“ England die Dänen im Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft nach Hause geschickt hat. Schließlich hatte man sich in Alba nach dem vorzeitigen Ausscheiden der eigenen Mannschaft dazu entschlossen, Dänemark zu unterstützen. „Alles, bloß nicht England (Anything but England)“, lautete schon immer das Motto der sportbegeisterten Schotten, die vor dem Spiel im Internet angestrengt nach dänischen Flaggen suchten. In der Regel ist der Hass auf die Engländer nicht ganz so ernst gemeint, wie er von der „Tartan Army“ im Eifer des Gefechts mitunter vorgetragen wird. Doch gibt es engstirnige Nationalisten, die es bis heute nicht verwunden haben, dass Bonnie Prince Charlie (Charles Edward Stuart) mit seiner Jakobiterarmee auf dem Weg zum englischen Thron 1745 nur bis Derbyshire kam. Es war das letzte Aufbäumen der schottischen Clanchefs, die danach in der Battle of Culloden in der Nähe von Inverness vernichtend geschlagen wurden. Natürlich gönnte man in Schottland den Engländern den Elfmeter nicht, den Kapitän Harry Kane am Mittwoch in die Arme des dänischen Torwarts beförderte. Stürmer Raheem Sterling habe den „Three Lions“ den Strafstoß mit einer Schwalbe erschlichen. Dann tauchten Bilder auf, die zeigen sollen, wie dieser mit einem Laser-Pointer geblendet worden sei. Und überhaupt hätten BBC und ITV eine ganz voreingenommene proenglische Berichterstattung betrieben. Tony Blairs ehemaliger Spindoktor Alastair Campbell, dessen Familie aus Schottland stammt, bewies wenig Gespür für die Stimmung im hohen Norden Großbritanniens, als er sich als Unterstützer Englands outete. Allerdings fügte er schnell hinzu, das liege nur daran, dass er Trainer Gareth Southgate so schätze.
Dabei sind die Zeiten längst vorbei, in denen Hooligans und Skinheads die Fankultur des englischen Fußballs prägten. Ein Fan aus Wales, Joel Hughes, richtete eine Crowdfunding-Website ein, über die mehr als 36 000 Pfund für das deutsche Mädchen eingesammelt wurden, das nach der Niederlage seiner Nationalelf weinend im Stadion zu sehen war und danach über die bekannten Online-Selbstentblößungsplattformen angefeindet wurde. Er habe zeigen wollen, dass nicht alle Menschen so furchtbar seien, sagte Hughes. Die Empfängerin will das Geld offenbar an Unicef spenden.
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Gar nicht schrecklich finden England offenbar zahllose EU-Bürger in „Brexit Britain“, von denen man bislang gar nicht wusste, dass sie dort leben. Bis zum Ablaufen der Frist am 30. Juni bemühten sich sechs Millionen um eine Niederlassungserlaubnis, die ihnen auch weiterhin die gleichen Rechte sichert wie zuvor. Eigentlich hatte man die Zahl der EU-Bürger auf drei bis vier Millionen geschätzt. Nun wurden dem Innenministerium zufolge bereits 5,1 Millionen Anträge bewilligt. Dennoch kursieren Schauergeschichten. Schottische Nationalisten und Grüne beschwören bereits einen neuen Windrush-Skandal herauf. Dabei ging es um Einwanderer aus der Karibik, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Großbritannien kamen und Opfer der Versuche des Home Office wurden, illegale Zuwanderer ausfindig zu machen. „Ich glaube nicht, dass man das zu diesem Zeitpunkt direkt mit Windrush vergleichen kann“, sagt Rajiv Naik, Partner bei der auf Immigrationsfragen spezialisierten Kanzlei Fragomen. „Das Home Office war sehr klar, und wir hoffen, dass aus Windrush gelernt wurde. Vielleicht hat das ja dazu beigetragen, dass sie die Tür noch ein bisschen offen gelassen haben und verspätete Anträge zulassen.“ Das Vorgehen erscheine pragmatisch und zeuge von der Bereitschaft, im Zweifelsfall zugunsten des Antragsstellers zu entscheiden, aber es gebe noch eine „Grauzone“, was den Umgang mit verspäteten Anträgen angehe. Alles in allem ist der Prozess stark vereinfacht. Man kann den Antrag per Smartphone stellen. Gibt man seine Sozialversicherungsnummer an, werden Nachweise automatisch von der Steuerbehörde angefordert. Im Vergleich zu den Antragsverfahren, die Briten in EU-Ländern durchlaufen, stehe das britische System ganz gut da, sagt Naik.