Alles für ein gutes Gefühl
Notiert in Frankfurt
Alles für ein gutes Gefühl
Von Lutz Knappmann
Eine solche Eskorte bekommen Mitarbeiter der Stadtreinigung normalerweise nicht: Während der Straßenreiniger mit Besen und Wasserschlauch die Taunusstraße von Müll und Schmutz befreit, folgt ihm im Schritttempo und mit weithin sichtbarem Blaulicht ein Mannschaftswagen der Polizei. Im Frankfurter Bahnhofsviertel gehört es zum Alltag, dass Gewerke, die die Infrastruktur in Schuss halten, vorzugsweise unter Polizeischutz arbeiten. Das Quartier zwischen Nidda- und Münchener Straße ist berüchtigt für seine offene Drogenszene, für Kriminalität und Prostitution. Zugleich bildet Deutschlands bekanntester sozialer Brennpunkt täglich für Zehntausende das Eingangsportal in die Finanzmetropole, auf dem Weg ins glitzernde Bankenviertel.
Derzeit schwillt die Debatte um die Sicherheitslage mal wieder mächtig an. Denn eine britische Boulevardzeitung hat das Drogen-Elend im Fußball-EM-Austragungsort Frankfurt auf seine Titelseite gehoben und englische Fußballfans davor gewarnt, in einem der zahlreichen Hotels im Bahnhofsumfeld Quartier zu beziehen. Nun ist die „Sun“ alles andere als berühmt für feinsinnige Schlagzeilen. Aber dass das Krawallblatt das Bahnhofsviertel gleich als „Zombieland“ und „Deutschlands größten Slum“ titulierte, traf die Stadt-Oberen dann doch ins Mark.
Kaum waren die Schlagzeilen in der Welt, stellten Oberbürgermeister Mike Josef und, wie der Hessische Rundfunk spitzfindig vorrechnete, eindrucksvolle zwei Drittel seines Magistrats ein Maßnahmenpaket vor. Dessen Ziel müsse es sein, dass niemand „mit einem schlechten Gefühl“ ins Bahnhofsviertel gehe, so die Kernbotschaft. Ein Satz, der für alles steht, was in der Debatte um den Brennpunkt schiefläuft. Ein Satz der segregiert, der trennt zwischen „Uns“ und „Denen“, zwischen bürgerlichen Passanten, denen das Elend beim Gang durchs Viertel nicht zumutbar sei, und den Hunderten Namenlosen, deren Sturz durchs soziale Netz auf dem harten Pflaster des Bahnhofsviertels endete. Eine Haltung, die soziales Elend vor allem als Risiko fürs Standortmarketing wahrnimmt. Und die erklärt, warum verstärkte Polizeipräsenz und Kontrollen vorzugsweise im zeitlichen Umfeld von Wahlen stattfinden, warum eine Waffenverbotszone und flächendeckende Videoüberwachung vor allem ans Sicherheitsgefühl der Passanten appellieren: Soziale Kosmetik.
Keiner der Obdachlosen, Drogenabhängigen oder um ihre Existenz kämpfenden Sexarbeiterinnen geht mit einem „guten Gefühl“ durchs Bahnhofsviertel. Keiner hat sich freiwillig dafür entschieden, das Hochglanzimage einer Finanzmetropole zu unterminieren. Es handelt sich um Menschen, die alles verloren haben, die um ihre Existenz kämpfen und nicht selten um ihr Leben. Notwendig ist eine ehrliche und konsequente Auseinandersetzung mit den Ursachen für Armut, Drogenkonsum und Obdachlosgkeit. Gelingt es, den Betroffenen zu einem besseren Leben zu verhelfen, stellt sich bei Passanten und Touristen ganz von allein ein „besseres Gefühl“ ein.