LEITARTIKEL

Am Gängelband der Politik

Nach einer mehrjährigen Hängepartie schien sowohl für Telekomnetzbetreiber als auch für die Ausrüster in diesem Jahr auf dem Mobile World Congress in Barcelona Aufbruchstimmung garantiert. In wichtigen europäischen Ländern ist die Vergabe von...

Am Gängelband der Politik

Nach einer mehrjährigen Hängepartie schien sowohl für Telekomnetzbetreiber als auch für die Ausrüster in diesem Jahr auf dem Mobile World Congress in Barcelona Aufbruchstimmung garantiert. In wichtigen europäischen Ländern ist die Vergabe von Lizenzen für den künftigen Mobilfunkstandard 5G erfolgt oder steht bevor. So hofften die Ausrüster endlich auch in Europa auf eine substanzielle Nachfragebelebung im margenstarken Geschäft mit neuer Netztechnik, und die Netzbetreiber entwickelten Pläne für erste Anwendungen der neuen Technik in der Industrie.Indes droht die Rechnung nicht aufzugehen. Der Technologiesprung ist mit hohen Investitionen verbunden. Der Branchenverband GSMA, der die Messe in Barcelona ausrichtet, kalkuliert mit insgesamt 300 bis 500 Mrd. Euro für die Mobilfunkfirmen in Europa bis 2025. Sie können nur fließen, wenn sich die Unternehmen auf einen sicheren Rechtsrahmen für Bau und Betrieb der Netze verlassen können. Derzeit allerdings geht der Rahmen gerade aus dem Leim. Das gilt insbesondere für Deutschland, wo die Vergabebedingungen für die 5G-Lizenzen heftig umstritten sind und eine Klagewelle der Telekomfirmen ausgelöst haben, die die ursprünglich für Ende März angesetzte Auktion verzögern könnte.Schwerer wiegen allerdings die auf gesamteuropäischer Ebene geäußerten Sicherheitsbedenken gegen chinesische Netzwerkausrüster und den Weltmarktführer Huawei im Besonderen. Die von den USA in Gang gesetzte Diskussion hat die Telekomunternehmen bereits in einer Reihe von Ländern bewogen, vorsichtshalber den Verzicht auf Huawei-Technik beim Ausbau von 5G zu erklären. Der vorauseilende Gehorsam gegenüber einem langjährigen geopolitischen Bündnispartner, der im Handelskonflikt mit China mit harten Bandagen kämpft, droht in Europa einen breitflächigen Kollateralschaden zu verursachen. Die Vorstellung, dass ein Bann von Huawei-Technik bei 5G den beiden skandinavischen Ausrüstern Ericsson und Nokia einen unverhofften Geschäftsschub geben könnte, hat sich als Fehlannahme erwiesen. Im Gegenteil: Nokia hat aufgrund von Verzögerungen bei 5G-Aufträgen kürzlich vor einem schwachen ersten Halbjahr gewarnt. Die Telekomfirmen verspüren wenig Lust, bei einzelnen Netzkomponenten einen Aufschlag von 20 bis 30 % zu zahlen, der gegenüber dem Preisniveau von Huawei fällig würde, wie Experten schätzen. Dies, zumal die Chinesen auch technisch bei 5G führend sind und die beiden skandinavischen Player diesen Vorsprung nicht in kurzer Zeit aufholen dürften. Eine Verknappung auf der Anbieterseite würde zudem zweifellos einen weiteren Preisauftrieb nach sich ziehen.Europa steht beim 5G-Ausbau am Scheideweg. Die GSMA warnt zu Recht, dass sich der Technologiewechsel in Europa um Jahre verzögern und massiv verteuern könnte. Dabei dürften sich die Telekomunternehmen wie üblich außerstande sehen, ihre erhöhten Kapitalaufwendungen an die Verbraucher weiterzugeben. Der Drang zu weiteren Zusammenschlüssen, die Skaleneffekte und Synergien bringen sollen, ist programmiert. Ansonsten drohen Investitionsstau und eine Vertiefung der Kluft zwischen der Digitalisierung in Europa und anderen Regionen.Dies ist umso kritischer, als Europa seine einst führende Rolle in der Mobilfunkindustrie ohnehin bereits durch Kleinstaaterei und administrative Hindernisse verspielt hat. Während der Kontinent bei Vorgängertechnologien – vor allem bei der Entwicklung des GSM-Standards, dann auch bei UMTS und teilweise bei LTE – einst die Nase vorn hatte, ist man bei 5G global betrachtet schon jetzt Nachzügler. Wegbereiter des neuen Standards, der für die Digitalisierung des industriellen Kerns der Wirtschaft als so entscheidend gilt, sind die asiatischen Länder: China, Südkorea, Japan und – in geringerem Ausmaß, aber gleichwohl – die USA. Gerade deren Vorsprung dürfte sich gegenüber Europa vergrößern, wenn die europäischen Telekomunternehmen gezwungen wären, mehr oder minder auf chinesische Technik bei 5G zu verzichten. Denn die US-Konkurrenz verfolgt ihre Ausbaupläne unbeeinträchtigt von derlei Störmanövern: Sie hat aufgrund der politischen Vorgaben schon längst praktisch exklusiv mit Ericsson und Nokia geplant.Es wird höchste Zeit, dass Europa in der Debatte um die Sicherheit kritischer Infrastruktur das Heft des Handelns wieder in die Hand bekommt. Der auch von der GSMA unterstützte Vorschlag gemeinsam definierter Sicherheitsstandards mit festgelegten Prüfkonzepten und Zertifizierungen wäre zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung. —–Von Heidi Rohde5G ist der “Star” auf dem diesjährigen Mobile World Congress. Gefordert ist aber auch ein Signal, welchen Rahmen Europa für den Ausbau kritischer Infrastruktur setzen will. —–