Unterm Strich

Ampel-Regierung: Last Order auf der Schulden-Party

Gestrenger Kassenwart oder liberales Feigenblatt einer „Wünsch dir was“-Regierung? Bundesfinanzminister Lindner muss Gestaltungskraft beweisen.

Ampel-Regierung: Last Order auf der Schulden-Party

Ist der künftige Finanzminister Christian Lindner nun der gestrenge Kassenwart in einer wirtschaftlichen Ausnahmesituation, in der berechtigte politische Ziele auf das solide zu finanzierende Maß gebracht werden müssen, oder doch nur das liberale Feigenblatt einer Ampel-Koalition, die nach dem „Wünsch-dir-was-Prinzip“ aus dem Vollen schöpfen wird? Der Koalitionsvertrag bietet darauf keine klare Antwort und lässt beide Interpretationen zu. Denn die schon von der schwarz-roten Vorgängerregierung geplante Rückkehr zur Schuldenbremse nach 2022 bleibt zwar erhalten, doch enthält der Koalitionsvertrag viele Optionen, um unterm Strich die Verschuldung weiter kräftig in die Höhe zu treiben.

Aktion Eichhörnchen

Alle von den führenden Ökonomen dieses Landes vor der Wahl diskutierten Finanzierungsoptionen jenseits der von der Schuldenbremse limitierten Neuverschuldung des Bundes und der Länder gehören demnach zum Instrumentenkasten der Ampel-Koalition. Das beginnt bei der KfW als Finanzierungsallzweckwaffe, reicht von der noch höheren Verschuldung von Bundesunternehmen wie beispielsweise der Deutschen Bahn über die Umwidmung bestehender Kreditermächtigungen aus Pandemiezeiten zugunsten eines Klima- und Transformationsfonds und geht bis zur für Jahre reichenden „Last Order“ auf der Neuverschuldungsparty, ehe sich der Bund nach 2022 wieder der Schuldenbremse unterwirft. Hier materialisiert sich der im Wahlkampf von manchen – auch von FDP-Chef Lindner – als ökonomische Unbedarftheit belächelte Spruch des Grünen-Co-Vorsitzenden Robert Habeck, man werde die Transformation nicht mit mehr Schulden, sondern zusätzlichen Krediten finanzieren.

Als Erstes steht für die neue Regierung die Aktion Eichhörnchen auf dem Programm: Die vom Bundestag bereits für 2021 beschlossenen, aber noch nicht benötigten Kredite, namentlich zum Abfedern der Corona-Folgen, sollen umgewidmet und im Fonds für Transformation und Klimawandel angesammelt werden. Technisch lässt sich dies mit einem Nachtragshaushalt noch im zu Ende gehenden Jahr von der Mehrheit der Ampel-Abgeordneten beschließen. Inhaltlich dagegen ist es ein heikles Unterfangen, gehen doch die Meinungen von Politikern wie auch Verfassungsrechtlern auseinander, ob dies im Rahmen der wegen der Corona-Pandemie ausgesetzten Schuldenbremse zulässig ist. Man darf gespannt sein, wie sich der neue Finanzminister in dieser Frage positioniert. Im Wahlkampf hatte Lindner eine solche Umwidmung der Kreditermächtigungen in Rücklagen noch als „unseriös“ bezeichnet. Seine Perspektive aus dem Ministerbüro auf jene vom Parlament beschlossenen, aber noch nicht abgerufenen geschätzten 100 Mrd. Euro dürfte eine andere sein. Allerdings gilt dies auch für die Perspektive der Opposition, die diesen haushaltsrechtlichen Taschenspielertrick vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen könnte.

Am Ende dürfte es wohl eine Frage der Verhältnismäßigkeit und Begründung sein. Denn unter die Überschrift „Abmilderung der Pandemiefolgen“ lässt sich vieles packen, von der Digitalisierung bis zu Wachstumsimpulsen durch die Dekarbonisierung. Gleiches dürfte für die Inanspruchnahme der KfW gelten, die neben der Absicherung von Krediten vor allem ein Vehikel werden könnte, um durch Hebelung vor allem privates Kapital für die Transformation zu mobilisieren. Das Bankensystem wie auch der Kapitalmarkt warten nur darauf, sich stärker an Green-Finance-Projekten beteiligen zu können. Liquidität ist ja vorhanden, und viele Transformationsvorhaben dürften höhere Renditen abwerfen als Staatsanleihen.

Bessere Schuldenstruktur

Der Ausbau der Infrastruktur muss ebenfalls nicht nur aus dem Staatshaushalt erfolgen, sondern kann von öffentlichen Unternehmen direkt kreditfinanziert werden. Dies gilt für das Bahn-Streckennetz ebenso wie für das ehrgeizige Wohnungsbauprogramm. Die Deutsche Bahn, die Deutsche Telekom und auch die vielen kommunalen Wohnungsbaugesellschaften werden aber weniger die Finanzierung als Bottleneck erleben als vielmehr die Kapazitäten in der Bauwirtschaft. Schon heute sind in weiten Teilen Deutschlands Facharbeiter am Bau sowie Bauhandwerker Mangelware, beteiligen sich viele Firmen aufgrund voller Auftragsbücher und fehlenden Personals nicht mehr an Ausschreibungen.

Einen wichtigen Hinweis zum künftigen Schuldenmanagement hat dieser Tage der Wissenschaftliche Beirat im Bundesfinanzministerium gegeben, als er auf die relativ kurze Laufzeit der aus Corona-Gründen begebenen Anleihen hinwies (vgl. BZ vom 26. November). Schon der Sachverständigenrat hatte unter seinem früheren Vorsitzenden Lars Feld die im internationalen Vergleich sehr kurz laufenden Schuldtitel moniert, zumal angesichts geringer Zinsdifferenz zwischen kurz- und langlaufenden Schuldtiteln. Gerade mit Blick auf eine näher rückende Zinswende sollte also der Bund eiligst die Laufzeitenstruktur seiner Schulden ändern.

Im Jahr 2020 machten die – überwiegend kurzlaufenden – Neuemissionen etwa 43% der gesamten ausstehenden Anleihen aus. Da aktuell 92% der Gesamtverschuldung innerhalb der nächsten 20 Jahre zu refinanzieren ist, wären Laufzeiten von 30 oder 50 Jahren ein wirkungsvoller Beitrag zur Schuldentragfähigkeit. Nicht nur fiskalisch, sondern auch materiell. Denn die Tilgungspläne für die in den Corona-Jahren überschießende Neuverschuldung werden von der Ampel-Regierung ebenfalls auf einen 30-Jahre-Zeitraum gestreckt, nämlich von 2028 bis 2058, in Anlehnung an das EU-Programm „Next Generation“. Es wird also vor allem die Generation der Jungen die wirtschaftliche Last der Pandemie wie auch der Transformation und Klimawende tragen. Das sollte dem neuen Finanzminister Lindner, dessen Partei gerade bei jungen und Erstwählern viele Stimmen geholt hat, ein besonderer Ansporn sein, die Schuldenbremse nicht durch zahllose Schattenhaushalte faktisch auszuhebeln.

c.doering@boersen-zeitung.de

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