Buenos Aires

Argentinische Luxus­versorgung

Während Millionen Argentinier kaum noch wissen, wie sie finanziell über die Runden kommen sollen, streichen Privilegierte wie Vizepräsidentin Cristina Kirchner fürstliche Ehrenpensionen ein. Die zudem von jeglichen Abgaben befreit sind.

Argentinische Luxus­versorgung

In Buenos Aires war die Luft selten gut, aber dieser Tage ist sie richtig dick. Am Mittwoch hatte das Statistikamt Indec eine Inflationsrate von 6,7% im März vermeldet. Aber dieser Wert bezieht sich nicht auf den Vergleich zum Vorjahr, sondern zum Vormonat. Das ist – bis auf den Spezialfall Russland – Weltrekord. Und sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, dann werden die Preise im Jahresverlauf um mehr als 100% steigen, twitterten mehrere Ökonomen.

Dabei wissen viele Argentinier schon heute nicht mehr, wie sie ans Monatsende kommen sollen. In den Armenvierteln löst der Preisauftrieb Angst und Not aus. Tagelöhnern, Gelegenheitsarbeitern, Kleingewerblern und Millionen von Rentnern reichen ihre Einkünfte inzwischen kaum noch bis zur Monatsmitte. Und während sich in Buenos Aires ein Protestzug an den anderen reiht, ziehen die Preise täglich weiter an.

Mit Entsetzen sieht das alles jene Person, die ihren Platz in der Landesgeschichte auf Seiten der Armen und Ausgegrenzten beansprucht. Cristina Kirchner, die Vizepräsidentin, sägt nun am Amtssessel von Alberto Fernández, den sie ja selbst 2019 via Twitter zum Spitzenkandidaten ausgerufen hatte. Doch seither haben sich die beiden entfremdet. Dies umso mehr, nachdem Fernández mit dem Internationalen Währungsfonds eine Umschuldung des 44-Mrd.-Dollar-Rekordkredits von 2018 vereinbart hatte. Dieser Deal wird im kommenden Jahr keine Wahlgeschenke erlauben, wie sie die Peronisten zu verteilen gewohnt sind – und das gefährdet nicht nur Kirchners Wiederwahl, sondern auch deren Möglichkeiten, gegen sie laufende Strafverfahren zu stoppen. Es geht um jahrelange und systematische Korruption und um veruntreute Milliarden.

Ihre Machtposition – als Vizepräsidentin leitet sie gemäß der Verfassung auch den Senat – ermöglichte es Kirchner bislang, die Hälfte der ursprünglich zehn Strafprozesse abzubiegen. Und auch in Zivilangelegenheiten fand sie gewogene Richter. Nach jahrelangem Rechtsstreit wurden im Februar sämtliche Anträge abgelehnt, die Auszahlung von zwei Ehrenpensionen an die Vizepräsidentin zu stoppen. Das heißt: Die Frau, die täglich und hochaktiv die Strippen in Argentiniens Politik zieht, bekommt nicht nur die Rente für ihr Wirken an der Staatsspitze zwischen 2007 und 2015 bezahlt. Sondern auch jene ihres 2010 verstorbenen Amtsvorgängers und Ehegatten Néstor, insgesamt also 3,5 Mill. Pesos monatlich. Weil Kirchner zu den wenigen Privilegierten zählt, die Pesos zum offiziellen Kurs in Devisen tauschen dürfen, kann man den Betrag getrost auf etwa 28600 Euro umrechnen. Die Staatskasse überweist Frau Kirchner nun jeden Monat mehr als 100 gesetzliche Mindestlöhne. Und weil der Doppelbezug zwischen 2016 und 2021 aufgrund des Rechtsstreits unterbrochen war, bekam die Vizepräsidentin eine satte Rückzahlung von mehr als 1 Mill. Euro zugesprochen.

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Diese Luxusversorgung ist freilich kein singuläres Phänomen an der Staatsspitze, sondern es setzt sich, mit Abstrichen, auch in niederen Diensträngen fort. So entsprechen etwa die Sonderpensionen für ehemalige Richter ungefähr 0,7% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Aber auch vormalige Minister, Gouverneure und Spitzenbeamte lassen sich äußerst großzügig verrenten, und ein Heer von Hintersassen im Staatsdienst wird wesentlich generöser versorgt als jene, die aus ihren Löhnen in der Privatwirtschaft jahrzehntelang brav Steuern und Rentenbeiträge abgeführt haben. Etwa 7% des BIP umfassen heute die Sonderpensionen an das privilegierte Ausgedinge eines Staates, dessen gesamte Ausgaben etwa 45% des BIP umfassen.

Diese gigantischen Ausgaben finanzierte Argentinien während der vergangenen beiden Jahre vor allem mit der Notenpresse. Nun, da das – auch aufgrund des IWF-Abkommens – nicht mehr geht, will das Land, das schon heute 170 verschiedene Steuern eintreibt, den „Kampf gegen die Steuerflucht“ verschärfen und vermeintliche Krisengewinne abschöpfen. Millionäre werden sich auf eine Sonderabgabe einstellen müssen, wie bereits 2021 nach der Pandemie.

Alle Millionäre? Nun, nicht alle. Denn Ehrenpensionen sind von jeglichen Abgaben befreit.