Italien

Auch Draghi schafft das nicht

Ex-EZB-Präsident Mario Draghi ist Italiens letzte Chance. Für viele ist er eine Art Messias. Aber er braucht unbedingt die Hilfe der Bevölkerung – und der EU.

Auch Draghi schafft das nicht

Rund 250 Mrd. Euro will Italiens Premierminister Mario Draghi im Zuge des europäischen Wiederaufbauprogramms zusammen mit nationalen Programmen bis 2026 zusätzlich ausgeben: für eine bessere Kinderbetreuung, für Schulen, für den ökologischen Umbau, für Straßen und Schienen, für die Digitalisierung und ein Breitbandnetz, für das Gesundheitssystem und vieles mehr. Rom ist der größte Nutznießer des Programms, denn das Land hat am stärksten unter der Corona-Pandemie gelitten. Mehr als 120000 Tote sind zu beklagen. Die Wirtschaft ist 2020 um 10% eingebrochen, weil Tourismus, Gastronomie, die Modebranche und Dienstleistungen, die in Italien sehr stark zur Wirtschaftsleistung beitragen, besonders hart getroffen wurden.

Draghi hat nun losgelegt wie die Feuerwehr und großzügig Hilfen verteilt. Er hat allein rund 75 Mrd. Euro zusätzliche Schulden gemacht, in kaum mehr als zwei Monaten, um vor allem kleine Selbstständige zu unterstützen. Der Schuldenstand ist auf 160% des Bruttoinlandsprodukts hochgeschossen.

Mit dem Plan für das Wiederaufbauprogramm will die Regierung die Weichen für eine bessere Zukunft stellen. Elf große Reformen hat Draghi versprochen und dafür einen klaren Fahrplan vorgelegt. Schon Ende Juli will er das Projekt einer Steuerreform vorstellen – mit Entlastungen für kleine und mittlere Einkommen und für Unternehmen. Darüber hinaus sollen Verfahren vereinfacht, der quälend langsamen Verwaltung auf die Sprünge geholfen, die Justiz beschleunigt und die Märkte liberalisiert werden. Draghi erhofft sich davon einen Mobilisierungseffekt. Die seit mehr als 20 Jahren stagnierende Produktivität soll wieder wachsen. Gleichzeitig will er Schwarzarbeit und Steuerflucht bekämpfen und dafür sorgen, dass Frauen und junge Leute, die kaum Zugang zum regulierten Arbeitsmarkt finden, Jobs finden und die Bevölkerung wieder wächst.

Draghi kennt die Schwächen Italiens. Der 73-jährige Ex-EZB-Chef genießt große Unterstützung in der Bevölkerung und hat eine riesige parlamentarische Mehrheit hinter sich. Er wird respektiert in Europa. Angeblich hat er mit einem Anruf bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bestehende Bedenken in Brüssel gegen seine Pläne zerstreut und persönlich für die Umsetzung des Programms gebürgt. Doch was passiert, wenn ihm morgen ein Ziegelstein auf den Kopf fällt? Und selbst wenn alles gutgeht: Diese Herkulesaufgabe kann er allein nicht meistern. Er hat maximal zwei Jahre zur Verfügung – wenn er nicht nächstes Jahr für das Amt des Staatspräsidenten kandidiert.

Schon gibt es massiven Streit innerhalb der Regierung – zwischen der Linken und der Rechten, aber auch innerhalb der politischen Rechten und der politischen Linken. Draghi ist populär. Doch bleibt das so, wenn die Hilfen, das Kündigungsverbot und die großzügigen Kurzarbeiterregelungen auslaufen, Unternehmen pleitegehen, die Banken Kreditausfälle verzeichnen und die Arbeitslosenzahlen steigen? Und schon in der Vergangenheit wurden viele EU-Mittel nicht abgerufen.

Draghi ist bald hundert Tage im Amt. Seine Reformpläne stehen teilweise in Widerspruch zu seinen Maßnahmen. Mit Golden-Power-Regelungen werden immer größere Teile der Wirtschaft gegen ausländische Übernahmen geschützt. Statt Märkte zu öffnen, sollen Autobahnen verstaatlicht werden, übernimmt Rom die Mehrheit am hoch verschuldeten früheren Stahlkonzern Ilva und schafft ein monopolistisches, staatlich dominiertes Breitbandnetz. Symbolische Bedeutung wird haben, ob es endlich zu der von Brüssel seit 20 Jahren angemahnten Neuausschreibung der Konzessionen für den Betrieb der Strandbäder kommt. Auch dass Draghi weitere Milliarden in die Pleite-Airline Alitalia stecken will, stimmt bedenklich.

Draghi ist Italiens letzte Chance. Für viele ist er eine Art Messias. Aber er ist nur ein Mensch und wird an seinen Aussagen und der Erfüllung seiner eingegangenen Verpflichtungen gemessen. Er braucht die Unterstützung der Öffentlichkeit, auch wenn es harziger wird. Er braucht die Unterstützung der schwerfälligen Verwaltung. Vor allem aber braucht er die Hilfe der EU. Italien schafft es nur, wenn der Stabilitätspakt abgeschafft, europäische Transferleistungen verstetigt werden und die Europäische Zentralbank durch ihre Aufkaufprogramme dauerhaft günstige Finanzierungsbedingungen für Staat und Unternehmen sicherstellt. Europa ist endgültig auf dem Weg zu einer Transferunion, deren Nutznießer vor allem Italien ist. (Börsen-Zeitung, 4.5.2021)