LeitartikelRestschuldversicherung

Auf Selbstdisziplin der Finanzbranche kommt es an

Banken und Versicherer können sich nicht auf das Bundesverfassungsgericht verlassen, um den Vertrieb von Restschuldversicherungen zu bewahren. Die Branche sollte stattdessen weiter an Beratungsqualität, Transparenz und Produktleistung arbeiten.

Auf Selbstdisziplin der Finanzbranche kommt es an

Restschuldversicherung

Selbstdisziplin aus Eigeninteresse

Um die Restschuld­versicherung zu retten, sollte die Branche für mehr Transparenz und Qualität sorgen, statt auf Karlsruhe zu hoffen.

Von Jan Schrader

Ein Wort wie Donnerhall: Verfassungsbeschwerde. Nicht weniger als den Appell an die grundrechtlich garantierten Freiheiten nehmen der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und 22 Unternehmen für sich in Anspruch, um die nahende einwöchige Abschlusssperre für Restschuldversicherungen doch noch zu Fall zu bringen. Das Argument: Es verstößt gegen Europarecht, wenn ein Kunde nach Abschluss des Kreditvertrags eine Woche warten muss, ehe er eine zugehörige Restschuldversicherung unterschreiben darf. Denn in der EU-Verbraucherkreditrichtlinie ist eine „Bündelung“ von Kreditvertrag und Versicherung ausdrücklich erlaubt. Die Branche leitet daraus ab, dass auch der zeitgleiche Abschluss möglich sein muss. Jetzt müssen nur noch die Karlsruher Richter folgen. Doch darauf sollte die Branche nicht bauen. Wichtiger ist, dass die Branche weiter für Qualität und Transparenz eintritt, um den Vertrieb der umstrittenen Produkte zu retten.

Mängel abstellen, um Debatte zu gewinnen

Mit der einwöchigen Sperre, die ab dem kommenden Jahr gilt, müssen Versicherer und Banken vermutlich vorerst leben. Um nach einem etwaigen Regierungswechsel in der Politik Gehör zu finden, um die Frist wieder zu kippen, sollte die Branche weiter daran arbeiten, diverse Mängel abzustellen. Die Qualität der Beratung ist in der Praxis durchwachsen, wie die BaFin vor eineinhalb Jahren in Testkäufen herausfand: Die meisten Bankberater und Verkäufer, die Restschuldversicherungen vertreiben, fragen nicht ab, welchen Schutz die Kunden konkret wollen. Auf die gesetzlich geforderte Freiwilligkeit einer Versicherung weist jeder vierter Berater im Gespräch nicht hin. Und ein weiteres Viertel schlüsselt die Kosten von Kredit und Versicherung nicht separat auf. Das ist auch für die Branche ein Problem. Wenn die Beratung nicht stimmt, gehen den Verbänden von Banken und Versicherern leicht die Argumente aus.

Ein weiteres Ärgernis sind die Lücken in Verträgen: Während der Schutz bei Todesfall meistens grundsolide ist, sehen die Klauseln rund um Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit oft Ausnahmen vor. Das ist keine Überraschung: Versicherer müssen aufpassen, nicht einseitig gerade jene Kunden anzuziehen, die sehr leicht arbeitslos oder arbeitsunfähig werden können. Vor einer solchen „adversen Selektion“, wie der Effekt im trockenen Jargon der Ökonomie genannt wird, fürchten sich Versicherer zu Recht. Wichtig ist dann aber, die Lücken klar zu benennen. Und zum Teil haben Versicherer die Leistungen schon etwas verbessert, wie die BaFin weiter berichtet. Daran sollte die Branche anknüpfen. So könnte der GDV mit weiteren Musterklauseln für Orientierung sorgen. Bisher nämlich schlägt der Verband nur für den Todesfall Bedingungen vor.

Mächtiger Gegenwind

Es ist für die Branche schwer, sich in der Debatte durchzusetzen. Die Liste der Kritiker ist lang: Verbraucherzentralen, Stiftung Warentest, Institut für Finanzdienstleistungen, Finanzwende, Finanztip und der Bund der Versicherten wenden sich gegen Restschuldversicherungen bei Ratenkrediten. Versicherer und Banken stehen unter Druck. Doch gerade deshalb kann nicht allein Karlsruhe das Blatt wenden, denn die Debatte lässt sich nicht mit Gerichtsurteilen gewinnen. Kreditwirtschaft und Assekuranz haben mit ihren „Selbstverpflichtungen“ schon etwas bewegt, ohne die stetige Kritik wären die Mängel vermutlich größer. Je mehr sich die Branche selbst zur Ordnung ruft, desto stärker wird ihre Position sein, wenn sie sich politisch gegen ein allzu enges Regelkorsett zur Wehr setzt – Selbstdisziplin aus Eigeninteresse also.

Die einwöchige Pause, eine erzwungene Bedenkzeit für Kreditkunden, ist in der Tat ein weitreichender Schritt. Die Grenze von berechtigtem Anlegerschutz hin zur Bevormundung mag da bereits überschritten sein. Der Wunsch, sich gegen Zahlungsunfähigkeit abzusichern, ist bei vielen Menschen verständlicherweise hoch. Zugleich richten sich Konsumkredite plus Versicherung an eine finanziell vulnerable Gruppe. Der Anreiz, möglichst viele Versicherungen zu verkaufen, lässt sich nur schwer bändigen. Und auch die Kosten sind mitunter auffällig hoch. Die Branche sollte mit gutem Willen und Fingerspitzengefühl vorgehen. Karlsruhe allein wird sie nicht retten.

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