Tokio

Aus für die Pflicht­schoko­lade

Die japanische Geschenkkultur ist eine spezielle – und sehr reglementiert. Darunter leiden an Valentinstag vor allem die Frauen in Büros. Doch die Corona-Pandemie hat das nun geändert.

Aus für die Pflicht­schoko­lade

Die Pandemie hat eine speziell japanische Tradition am Valentinstag schwer getroffen – sehr zur Erleichterung der Frauen in den Büros. Denn Japan hatte den 14. Februar, an dem sich Verliebte und Paare eigentlich beschenken sollten, in eine einseitige Angelegenheit verwandelt – die Frauen kaufen das Geschenk, die Männer erhalten es. Noch übler für den weiblichen Teil der Bevölkerung: In den Büros war das Verschenken von billiger Schokolade zum sozialen Zwang geworden. Diese Entwicklung trifft die Geldbörse der berufstätigen Büroarbeiterinnen, die widerwillig solche „Pflichtschokolade“ („giri choko“) jedem männlichen Kollegen auf den Schreibtisch legen müssen. Einige Office Ladys, wie die Hilfskräfte fürs Teekochen und Fotokopieren heißen, verkehren den „Tag der Liebe“ gar in sein Gegenteil und missbrauchen ihre Bringschuld für eine süße (!) Rache an ihrem Chef. Denn für Vorgesetzte ist es ziemlich peinlich, wenn ihr Schreibtisch am 14. Februar fast leer bleibt, während beliebte Kollegen in Schokolade ertrinken.

Sind die Pralinen jedoch aufwendig verziert, von einer teuren Marke und hübsch verpackt, handelt es sich garantiert um „Favoritenschokolade“ („honmei choko“) für den wahren Auserwählten im Büro. Ursprünglich machte diese wortlose Möglichkeit, das Gefühl der Zuneigung auszudrücken, den Valentinstag in Japan populär. Aber die Tradition der Pflichtschokolade stößt immer mehr berufstätigen Frauen sauer auf.

Jetzt nutzen viele die Pandemie als Ausrede, die lästige Verpflichtung loszuwerden. Denn die Mitarbeiter im Homeoffice kann man nicht beschenken, also gibt es auch nichts für die Kollegen, die im Büro sitzen. Mal sehen, wie die Männer darauf reagieren. Denn zur ausgleichenden Gerechtigkeit revanchierten sich die Kollegen bisher am „White Day“ am 14. März für die süße Verwöhnung, passend zur Bezeichnung des Tages mit weißer Schokolade.

Der Valentins- und der Weiße Tag illustrieren die spezielle Geschenkkultur von Nippon. Die lästigsten Zeiten des Jahres durchleben die Japaner in den „Präsent-Saisons“ Anfang Juli und Anfang Dezember. Dann geht man ins Kaufhaus und wählt aus einem vielfältigen Sortiment Geschenke für Familie, Freunde und Vorgesetzte aus. Die oft mit der Post verschickten Präsente sollen Dank ausdrücken oder Wertschätzung zeigen für Personen, die im vergangenen Halbjahr geholfen oder unterstützt haben.

Das können Angehörige, Mentoren, Gönner, Lehrer, gute Freunde oder Kollegen sein. Üblich sind fertig abgepackte Waren von Dosenbier über Speiseöl und Räucherfisch bis zu Keksen und Reiscrackern im Wert zwischen 30 und 100 Euro. Diese Geste ist häufig der Auftakt zu einem längeren Pingpong von Geben und Nehmen, weil sich viele Beschenkte mit einem Präsent in ähnlichem Wert revanchieren (wollen und müssen), worauf der anfängliche Schenker erneut etwas kauft.

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Diese Kultur existiert seit Jahrhunderten. Geschenke knüpfen und fördern soziale Kontakte, weil sie freundlich stimmen. Wer zum Beispiel ein Einfamilienhaus baut, der entschuldigt sich bei den direkten Nachbarn mit einem Geschenk für den zu erwartenden Dreck und Lärm. Eine beliebte Gabe sind kleine Handtücher, die sich beim Baden und Putzen gebrauchen lassen. Auch ich nehme ein Geschenk mit, wenn ich zum Interview mit Leuten gehe, die ihre Zeit für mich opfern. Dadurch verstehen sie, dass ich ihre Anstrengung anerkenne.

Falls Sie einmal in die Verlegenheit kommen sollten, Japanern ein Geschenk mitzubringen, zum Beispiel als Vertreter eines Unternehmens, dann ignorieren Sie alle Bedenken bezüglich Compliance und Korruption und verschenken Sie einen Kugelschreiber, einen USB-Stick oder einen Laserpointer mit dem Logo Ihres Arbeitgebers. Auch nationale Spezialitäten eignen sich hervorragend, weisen Sie dabei am besten auf den typischen Charakter hin. Süßigkeiten und andere Lebensmittel sollten einzeln verpackt sein, weil Japaner sie meist unter ihren Kollegen verteilen. Und achten Sie unbedingt auf eine edle und unbeschädigte Verpackung und überreichen das Präsent in einer Tragetüte.