Tokio

Ausländer = Virenträger

Japan schottet sich aus Sorge vor Omikron ab. Die Maßnahmen treffen insbesondere Ausländer – als ob nur diese die Virusmutation einschleppen und verbreiten würden. Diese Art der Diskriminierung ist aber eine alte japanische Spezialität.

Ausländer = Virenträger

Japan hat das Coronavirus fest im Griff. Der 7-Tage-Schnitt für Neuinfektionen liegt bei 107, fast niemand stirbt mehr an Covid-19. Diese seltene Lage erklärt, warum Premier Fumio Kishida auf die Omikron-Variante so panisch reagierte und die Außengrenzen sofort hermetisch abriegelte. Erneut dürfen nur noch Japaner und Ausländer mit Wohnsitz in Japan einreisen – exklusive jener Ausländer, die aus zehn afrikanischen Ländern stammen. Geschäftsleute müssen wieder draußen bleiben, Touristenvisa gibt es seit April 2020 sowieso keine mehr. Einreisende aus Ländern mit Omikron-Infektionen werden für drei Tage in einem Hotelzimmer zwangsisoliert und dürfen erst nach einem negativen Test den Rest ihrer 14-tägigen Quarantäne zuhause verbringen. Zweimal täglich kontrolliert das Gesundheitsamt per automatischen Videoanruf und Abfragen der Positionsdaten, ob die Person sich vorschriftsmäßig isoliert.

Des Weiteren ordnete die Regierung an, dass alle früher ausgestellten Visa im Dezember nicht mehr gelten. Den Fluggesellschaften wurde bis zum Jahresende untersagt, neue Buchungen zu akzeptieren. Doch hier mussten sich die Behörden nach 24 Stunden korrigieren, weil Japan damit seine eigenen Bürger ausgesperrt und zum Aufenthalt in anderen Ländern gezwungen hätte. Doch auch die Visa-Sperre verursacht bittere Einzelschicksale und trifft vor allem gemischtnationale Ehepaare. Eine befreundete Japanerin in München will mit ihrem deutschen Ehemann und den gemeinsamen Kindern gerade nach Japan umziehen, um ihre pflegebedürftigen Eltern zu versorgen. Die vierköpfige Familie hat ihre Wohnung in München schon gekündigt und sitzt auf gepackten Koffern, aber der deutsche Mann und die zwei kleinen Kinder mit deutschem Pass erhalten nun kein Visum.

Diese Art von Diskriminierung ist eine japanische Spezialität. In der Frühphase der Pandemie zum Beispiel mussten nur Ausländer mit japanischem Wohnsitz bei der Einreise einen negativen PCR-Test vorlegen, japanische Staatsbürger dagegen nicht. Die Vorschrift führte zu der absurden Situation, dass von einem deutsch-japanischen Ehepaar, das von einer gemeinsamen Europareise zurückkehrte, lediglich der deutsche Partner seine Virusfreiheit nachweisen musste. Die gleiche Sortierung wiederholt sich nun – die ausländischen Partner von Japanern erhalten ein Einreiseverbot, als ob sie besonders gefährlich seien. „Aus epidemiologischer Sicht kann ich das Prinzip nicht nachvollziehen“, kommentierte Michael Ryan, der Leiter des WHO-Programms für Gesundheitsnotfälle, das japanische Vorgehen. „Kann das Virus Ihren Reisepass lesen? Weiß das Virus, welche Staatsangehörigkeit Sie haben oder wo Sie sich legal aufhalten?“, fragte Ryan bissig.

Doch Regierungschef Kishida hat – wie vielleicht auch nicht anders zu erwarten war – einen Großteil der Japaner auf seiner Seite. Laut einer Online-Umfrage der größten Zeitung Yomiuri unterstützen 86% der Bevölkerung die konsequente Abschottung der Inselnation, obwohl eine erste Infektion mit der Omikron-Variante im Land schon offiziell festgestellt wurde. Dieses Misstrauen gegen Fremde äußert sich, zumindest auf Twitter verbreiteten Anekdoten zufolge, inzwischen auch in verbalen Angriffen auf Ausländer, die in Japan leben. Wir stehen nun offenbar unter dem Generalverdacht, dass wir – und eben nur wir – das Virus einschleppen und verbreiten.

Selbst die Polizei scheint diese Stimmung „infiziert“ zu haben: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte forderte die US-amerikanische Botschaft in Tokio die 54000 in Japan weilenden US-Bürger am Montag auf, ihren Wohnsitzausweis immer bei sich zu tragen und das Konsulat sofort von einer etwaigen Inhaftierung zu informieren. Mehrere Ausländer seien bereits festgenommen, befragt und durchsucht worden, dabei sei es auch zu „Racial Profiling“ gekommen, schrieb die US-Bot­schaft in einem Tweet. Gemeint ist: Die Polizei kontrolliert bevorzugt Ausländer und pickt sich dabei People of Color heraus. Kabinettschefsekretär Hirokazu Matsuno wischte den Vorwurf natürlich vom Tisch. Dabei ist die Wirklichkeit viel grausamer: Berichte über Rassismus bei der Polizei gegen schwarze Ausländer gab es schon lange vor der Pandemie.

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