Energieabhängigkeit

Autokratisches Vakuum

Die Abhängigkeit von Russlands Energie legt das Vakuum im Umgang mit Autokratien offen. Die Politik kann nur mit der Wirtschaft handeln.

Autokratisches Vakuum

Der Krieg Russlands in der Ukraine und die Erosion der vermeintlich stabilen, multipolaren Weltordnung hat Deutschland auch in wirtschaftlicher Hinsicht aufwachen lassen. Russland hat nicht nur die Ukraine angegriffen, Russland ist auch hierzulande der Hauptlieferant für Energie – für Gas, Öl und Kohle. Mehr als die Hälfte des heimischen Verbrauchs werden aus russischen Quellen gedeckt. Forderungen, die Lieferungen zu stoppen und dem russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin damit die finanzielle Basis für seine Kriegsführung zu entziehen, kann die Bundesregierung kaum erfüllen. Die Abhängigkeit von einem einzigen Lieferanten macht Deutschland erpressbar. Denn hierzulande würde dadurch nicht nur die Industrieproduktion gedrosselt oder gar in Teilen stillgelegt, sondern es drohte spätestens im nächsten Winter auch Revolte in der Bevölkerung. Den dritten Pullover dürften viele Deutsche der Wohlfühlgesellschaft aus modischen Zwecken besitzen, aber nicht, um damit durch einen Winter ohne Heizung zu kommen.

Die jüngste Reise von Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) nach Katar hat diese missliche Lage Deutschlands noch offenkundiger gemacht. Aus dem energiereichen arabischen Staat brachte Habeck Zusagen für Lieferverträge mit. Sie können immerhin einen kleinen Teil der russischen Versorgung kompensieren. Sie werfen aber auch die Frage auf, was gewonnen ist, wenn sich Deutschland von der Abhängigkeit des einen lediglich in die eines anderen autokratisch geführten Landes begibt. Unsere Grundsätze sind hehr: Mit dem Lieferkettengesetzt verpflichtet die Politik die Wirtschaft, die Einhaltung guter Arbeitsbedingungen, der Menschenrechte und Umweltschutzauflagen weltweit zu beachten. Mit der Taxonomie sollen nur Länder das Kapital von Investoren erhalten, die ökologische und soziale Prinzipien sowie solche guter Unternehmensführung respektieren. So sollen die Werte der freiheitlichen und demokratischen Welt in die Welt exportiert werden. „Wandel durch Handel“ folgt der Vorstellung, schon allein enge wirtschaftliche Verflechtung würde Kriege verhindern. Nun erweist sich bitter, dass es ganz anders ist.

Mit dem Anspruch Europas, in der multipolaren Welt eine ernst zu nehmende Kraft zu sein und eine einflussreiche Rolle auszufüllen, stellen sich im weltpolitischen Kräftemessen neue Fragen. Deutschland als größte und wirtschaftsstärkste Nation ist in der EU27 besonders gefordert. Außen- und Sicherheitspolitik tritt in Konkurrenz zu einer bis dato unbesorgt agierenden Wirtschaftspolitik. Die deutsche Wirtschaft lebt von ihrer Offenheit als Investitionsstandort sowie von den weltweiten Aktivitäten in Produktion und Handel nicht nur ihrer Großunternehmen, sondern auch des Mittelstands. Diese arbeitsteilige globalisierte Welt hat hierzulande zu Wohlfahrtsgewinnen geführt.

Es wird künftig aber nicht mehr reichen, wenn Mitglieder der Bundesregierung bei Auslandsreisen Wirtschaftsverträge anstoßen und auch mal die Menschenrechtslage ansprechen. In der neuen Weltlage führt kein Weg daran vorbei, Wirtschaftspolitik und Sicherheitspolitik eng miteinander zu verknüpfen. In Ansätzen ist dies bereits geschehen. In der Sorge, deutsches Know-how könne ausverkauft oder kritische Infrastrukturen in die Hände von Investoren mit undurchsichtigen Motiven gelangen, greift die Investitions­kontrolle im Außenwirtschaftsgesetz. Sie ist in den vergangenen Jahren wiederholt verschärft worden.

Tatsächlich herrscht bei allen im Bundestag vertretenen Parteien aber ein politisches Vakuum, wie sich Deutschland als große, international vernetzte Wirtschaftsnation zu autokratisch geführten Staaten aufstellen soll. Dies gilt nicht nur für Konfliktfälle wie mit Russland, sondern auch für Länder mit einem ausgeprägten Weltmachtanspruch wie China. Sicherheitspolitische Aspekte lassen sich nur mit der Wirtschaft und nicht gegen sie in der Wirtschaftspolitik verankern. Jede staatliche Intervention ist in der Marktwirtschaft ein Problem. Sie muss deshalb transparent sein und eine gewisse Vorhersehbarkeit haben. Politische Risiken müssen für Investitionen wie für Desinvestitionen kalkulierbar bleiben. Der Staat kann schließlich nicht dauernd Unternehmen retten. Nicht der Wirtschaftsminister schließt Energieliefererveträge ab, sondern die Unternehmen gehen am Ende ins Risiko. Der Kompass für mehr Sicherheit muss auch auf eine breite Diversifizierung und die Verknüpfung gegenseitiger Interessen in Handelsbeziehungen gerichtet sein. Dies kann die multipolare Ordnung sogar stabilisieren.

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