Bankaktionäre warten noch auf Kompensation
Von Anna Sleegers, Frankfurt
Die lange Zeit von hohen Dividendenrenditen verwöhnten Aktionäre europäischer Banken haben eine lange Durststrecke hinter sich. Nicht nur die Aktionäre der beiden in der Restrukturierung befindlichen deutschen Großbanken, sondern auch die Eigentümer der meisten anderen europäischen Finanzkonzerne mussten sich auf Geheiß der Europäischen Zentralbank (EZB) bei der Dividende in Verzicht üben.
Den im März 2020 wegen der Corona-Pandemie verhängten Dividendenstopp hatten die europäischen Bankenaufseher zum Jahreswechsel nur unter strengen Auflagen gelockert. Doch die in den ersten Wochen des Lockdowns grassierenden Horrorszenarien einer Welle von Kreditausfällen bewahrheitete sich bislang nicht. Nach Bloomberg-Berechnungen haben die börsennotierten Großbanken mehr als 22 Mrd. Euro für Aktienrückkäufe und Dividendenausschüttungen reserviert, die in diesen Wochen ihren Weg in die Depots der Bankaktionäre finden.
Nachdem die meisten europäischen Banken den diesjährigen Stresstest solide überstanden haben, dürfen sie von Oktober an wieder ausschütten. Während die EZB mit Blick auf das Auslaufen der staatlichen Unterstützung für Unternehmen weiterhin zur Vorsicht mahnt, befürworten inzwischen selbst Kreditanalysten den Geldsegen für die Aktionäre. „Angesichts der derzeit üppigen Kapitalausstattung sind Ausschüttungen und Aktienrückkäufe für einige Institute nicht die schlechteste Idee“, sagt etwa Dierk Brandenburg, Branchenspezialist bei Scope Ratings. Seine These: „Wären die Banken weiterhin zur Zurückhaltung gezwungen, würde dies im Management möglicherweise Begehrlichkeiten auf dem M&A-Markt wecken.“ Doch längst nicht jede Geschäftserweiterung, die sich die Institute mit dem aufgrund des Verdikts der Notenbank zurückgehaltenen Kapital leisten könnten, ist auf lange Sicht auch strategisch sinnvoll.
Sitzfleisch zahlt sich aus
Ein Lied davon singen können die Aktionäre der Commerzbank. Nachdem sich das Institut im vergangenen Jahr nur widerstrebend den Vorgaben der EZB gebeugt hatte, macht es seinen Aktionären angesichts der Milliarden, die es für den Abbau jeder dritten Stelle auf dem Heimatmarkt aufwenden muss, bis auf Weiteres keine Hoffnungen auf Ausschüttungen. Nicht wenige in der Branche gehen davon aus, dass der kostspielige Umbau auch wegen der noch immer nicht verdauten Übernahme der Dresdner Bank vor mehr als einem Jahrzehnt notwendig ist.
Da stellt es die italienische HVB-Mutter Unicredit schon schlauer an. Anders als einst die Commerzbank kam sie dem Staat bei der Bankenrettung nicht zuvor. Obwohl sie derzeit innerhalb der Eurozone zu den Banken mit den dicksten Finanzpolstern gehört (siehe Grafik), hält sie sich im Gegensatz zur Wettbewerberin Intesa Sanpaolo in Sachen Ausschüttungen und Aktienrückkäufe derzeit zurück. Stattdessen verhandelt Unicredit-Chef Andrea Orcel seit ein paar Wochen mit der italienischen Regierung über eine für sein Institut weitgehend risikofreie und mit Steuergeschenken versüßte Übernahme des 2017 verstaatlichten Instituts Monte dei Paschi. Sitzfleisch zahlt sich für Bankaktionäre ganz offensichtlich aus.
Das gilt auch für die Aktionäre der französischen Großbanken, die in diesem Jahr nicht nur an den Gewinnen für das vergangene Jahr beteiligt werden, sondern zumeist schon im Frühjahr mit den unfreiwillig gebildeten Reserven aus den für 2019 vorgesehenen Dividenden beglückt wurden. Bei Crédit Agricole etwa, die nach einem ersten Rückkaufprogramm im Wert von knapp 560 Mill. Euro ein weiteres Programm in Aussicht gestellt hat, könnten sich die Rückkäufe bis Ende des Jahres auf mehr als 1 Mrd. Euro summieren – soweit die EZB grünes Licht gibt.
Auch die Aktionäre von Banco Santander dürfen sich auf eine späte Kompensation freuen. Auf die Aufhebung des Dividendenstopps ließ Bankchef José Antonio Álvarez bald die Ankündigung folgen, 40 bis 50 % des Nettogewinns an die Aktionäre auszuschütten.
Aller investorenfreundlicher Rhetorik zum Trotz ist die Branche nach Berechnungen des Deutschen Bank Researchs weit vom Vorkrisenniveau entfernt. So habe die durchschnittliche Dividendenrendite in den fünf Jahren vor der Pandemie mit aufsteigender Tendenz bei 5 % gelegen, schreibt Analyst Benjamin Goy. Statt der für 2019 erwarteten 6 % habe die Rendite, die anhand der von den Banken mit Verzögerung ausgeschütteten Dividenden ermittelt wurde, gerade einmal bei 2% gelegen.