Im Blickfeld Machbarkeitsstudie zu digitalen Zahlungsprozessen

Banken können der Industrie 4.0 Giralgeld als Token anbieten

Die Kreditwirtschaft ist überzeugt, ein tokenisiertes Zahlungsmittel mit allen Vorteilen des herkömmlichen Giralgeldes für die Industrie 4.0 bereitstellen zu können. Banken und Unternehmen haben es getestet.

Banken können der Industrie 4.0 Giralgeld als Token anbieten

Im Blickfeld

Banken können
der Industrie Giralgeld
als Token liefern

Die Kreditwirtschaft ist überzeugt, ein tokenisiertes Zahlungsmittel mit allen Vorteilen des herkömmlichen Giralgeldes für die Industrie 4.0 bereitstellen zu können. Banken und Unternehmen haben es getestet.

Von Angela Wefers, Berlin

Die deutsche Industrie braucht digitales Geld für die reibungslose Abwicklung ihrer neuen Geschäftsprozesse. Es soll vertrauenswürdig, sicher, fungibel und kostengünstig sein – und es muss in Industrieprozesse auf Basis der Distributed Ledger Technologie (DLT), des technologischen Rahmens für die Blockchain, integriert werden können. Seit wenigen Jahren bauen Geschäftsbanken an Blockchain-Zahlungsmodellen, um diese Bedürfnisse der Industrie 4.0 zu befriedigen. Eine neue Machbarkeitsstudie im Schulterschluss von Industrie und Kreditwirtschaft belegt nun, dass sich dafür gangbare Wege öffnen. Vieles ist gleichwohl noch ungeklärt auf diesem neuen Terrain. Aber auch dafür gibt es schon weitere Pläne.

Anders als die Notenbank, die Zentralbankgeld etwa in der Form von Bargeld liefert, stellen Geschäftsbanken in einem streng regulierten Umfeld Giralgeld bereit. Sie wickeln damit komplexe Zahlungsvorgänge für die Industrie ab. Die Pläne der EZB zum digitalen Euro betreffen Zentralbankgeld und zielen auf Konsumenten. Die Industrie benötigt weitergehende Transaktionsmöglichkeiten.

Übergreifende Projektgruppe

Eine Projektgruppe aus führenden Industrieunternehmen und Kreditinstituten hat deshalb mehr als ein halbes Jahr verschiedene konkrete Anwendungsfälle mit einem Geschäftsbankengeld-Token (Commercial Bank Money Token – CBMT) getestet. Das Ergebnis: Diese neue Form von Giralgeld ist technisch machbar und in unterschiedlichen Szenarien einsetzbar. Beteiligt am Projekt waren auf der Industrieseite: Airplus, ein Anbieter von Zahlungslösungen für Unternehmen, sowie BASF, Evonik, Mercedes-Benz und Siemens. Auf der Bankenseite standen Commerzbank, Deutsche Bank, DZ Bank, Helaba und HypoVereinsbank/Unicredit. Zur prinzipiellen Machbarkeit eines Geschäftsbankengeld-Tokens bzw. Giralgeld-Tokens haben der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Interessenverbund Deutsche Kreditwirtschaft (DK) gemeinsam einen Bericht vorgelegt.

„Wir sind froh, dass die Projektgruppe zu diesem positiven Ergebnis gekommen ist“, sagte Sven Schönborn, Geschäftsführer BDI-Ausschuss Unternehmensfinanzierung und Finanzmärkte, der Börsen-Zeitung. „Das ist ein wichtiger Schritt nach vorn bei der Entwicklung neuer Geldformen, abgestimmt auf die Bedürfnisse der deutschen Industrie.“

Vielfältig einsetzbar

Die Ergebnisse bestätigen dem Bericht zufolge, dass der Giralgeld-Token eine ganze Reihe von Anforderungen erfüllt: Er biete ein vertrauenswürdiges Zahlungsmittel, mit dem sich eine Vielzahl von Anwendungsfällen in verschiedenen Unternehmensfunktionen realisieren lasse. Zudem sei er ein vielseitiges Abrechnungsinstrument. Der Giralgeld-Token funktioniere über zahlreiche DLT-Plattformen und habe das Potenzial zu skalieren. Er dürfte zudem kein Hindernis darstellen, um die neue Technologie über Anwendungsschnittstellen (Application Programming Interface/APIs) in bestehende Systeme zu integrieren.

Komplexe Fälle untersucht

Konkret untersucht wird die Machbarkeit eines Giralgeld-Tokens bereits seit 2020. Ausgangspunkt für das Projekt war dem BDI zufolge das Interesse der Industrie an einer neuen Form von Geld. Es soll aufstrebende Technologien wie DLT einbauen und damit Abläufe in der Industrie 4.0 um Zahlungsprozesse ergänzen. Die Projektgruppe folgt auf eine Studie des BDI von 2022.

Der Industrieverband hatte darin die Notwendigkeit eines digitalen Euro auf der Blockchain konstatiert. Dieser sollte vorzugsweise sowohl über das Eurosystem als auch über den Finanzsektor herausgegeben werden. Die aktuelle Machbarkeitsstudie baut darauf auf: Untersucht wurden laut Bericht funktionale Anwendungsfälle – einschließlich einfacher Geldtransfers und komplexerer Unternehmenszahlungen – in drei verschiedenen Umgebungen. Getestet wurden demnach einfache Kunden-Geldtransaktionen innerhalb einer Bank sowie zwischen verschiedenen Banken. Zudem wurden drei aufwendigere Anwendungsfälle – zur Optimierung von Working Capital mit verschiedenen Währungen und mit regelmäßigen Zahlungsflüssen – unter die Lupe genommen. Getestet wurde in der „Sandbox“, also isoliert von richtigem Geld. Auch bestimmte Aspekte, wie Überlegungen zur Einhaltung von Compliance-Vorschriften, seien bislang nicht in die Untersuchung einbezogen worden.

Sichere Form von Geld

Getrieben ist der Wunsch nach einem Giralgeld-Token durch die digitale Transformation industrieller Arbeitsabläufe zur Industrie 4.0. Dabei geht es um Prozessautomatisierung, aber auch um innovative DLT-basierte Geschäftsmodelle. Mit solchen Abläufen stößt die Industrie an Grenzen beim Einsatz herkömmlicher Formen von Geld. Das neue Ökosystem erfordere synchrone und sich selbst verwaltende Zahlungsflüsse, heißt es im Bericht. Die deutsche Industrie brauche dafür eine sichere Form von Geld auf der Blockchain.

Der Roboter zahlt selbst

Viele praktische Beispiele für den Einsatz sind denkbar. So könnten etwa Roboter automatisch für ihren Einsatz bei anderen Firmen oder Kunden bezahlt werden. Selbstfahrende Autos würden mit Token bezahlt. Überdies könnten Token für andere Leistungen eingesetzt werden – etwa könnte ein Mietwagen die Ausgaben für Parkplätze oder Mautschranken, an Tank- oder Ladestellen selbständig während der Vertragsdauer zahlen. Geschäftsabläufe seien so flexibler und effizienter, lautet die Argumentation. Für die Nutzer würden sie komfortabler, für die Industrie kostengünstiger und ressourcenschonender.

Vorteile für beide Seiten

Eigentlich sind Banken als Zwischenhändler beim Einsatz von DLT-Technologie nicht nötig. Denn Unternehmen sind mit ihrer DLT-basierten Technologie in der Lage, Gelder direkt von Wallet zu Wallet zu überweisen. Jedoch bietet ein Giralgeld-Token aus Sicht von Kreditwirtschaft und Industrie mehr Vorteile für beide Seiten: Ein Token von verschiedenen Bank-Emittenten würde sowohl den Treasuries in Unternehmen als auch Finanzinstituten ein regelbasiertes Geldmanagement ermöglichen, heißt es im Bericht. Ausfallrisiken könnten besser adressiert werden, aber auch das Management des Working Capital könne optimiert werden.

Geschäftsprozesse verschmelzen

„Wir wollen heutiges Giralgeld den Erfordernissen unserer Kunden in der Industrie anpassen“, sagte Frederik Schubert, Projektleiter Digitaler Euro beim Sparkassenverband DSGV, der aktuell die Federführung in der DK hat, der Börsen-Zeitung. „Dazu haben wir bestehendes kontobasiertes Giralgeld zu tokenbasiertem Giralgeld weiterentwickelt.“ Von dieser technologischen Innovation im Zahlungsverkehr profitierten Unternehmen und Banken gleichermaßen: Die Firmen wickelten Finanz- und Geschäftsprozesse im selben System ab und erzielten damit Effizienzgewinne. „Die Wertschöpfungsketten der Industrie und der Banken verschmelzen, konstatierte Schubert.

Die derzeitigen privaten und öffentlichen Geldformen können dies nicht leisten. Sie sind nicht auf der Blockchain verfügbar. Bei Stablecoins, also mit Assets unterlegten programmierten Werten, ist dies zwar der Fall. Im Unterschied zum Stablecoin soll der Giralgeld-Token der Kreditwirtschaft aber mit allen Charakteristika von Geschäftsbankengeld funktionieren – nur in einer anderen technischen Form. Der Giralgeld-Token ist kontenbasiert und schlägt die Brücke zu den Depositen. Unterlegt ist er durch die Verbindlichkeiten in der Bilanz eines regulierten Kreditinstituts. Für die Industrie ist unter anderem zentral, dass tokenisiertes Giralgeld in Bezug auf Bilanzierung, Besteuerung und andere Rechtsfragen wie Geschäftsbankengeld behandelt würde. Dies ist für die Finanzabteilungen wichtig. Stablecoins bewegen sich dagegen in einem anderen Rechtsrahmen. Stablecoins fehlen der Industrie zufolge auch Wertstabilität oder regulatorische Einfachheit. Die Unternehmen befürchten Reibungsverluste und systemische Risiken.

Ohne neue Finanzinfrastruktur

Der DLT-basierte Geschäftsbankengeld-Token wurde nun so konstruiert, dass er zwar die Vorteile von Geschäftsbankengeld bietet, aber keine neue Finanzinfrastruktur aufbaut. Vielmehr soll er in die Geschäftsprozesse der Industrie integriert werden. Es soll auch Sache der Unternehmen sein, das Regelwerk für die neuartigen Geldtransfers zu finden. Wichtigste Konstruktionsprinzipien sind: Interoperabilität, sichere Programmierbarkeit und robuste Governance. Hinzu kommt die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften. Dies soll sicherstellen, dass der Giralgeld-Token auch dann so weit wie möglich innerhalb des aktuellen Rechtsrahmens bleibt, wenn er auf verschiedenen DLT-Plattformen betrieben wird. Für die DLT-Plattform gibt es keine Vorfestlegung. Die Industrie soll die Möglichkeit behalten, die Plattform zu nutzen, die für sie vorteilhaft ist. Getestet wurden auf den Plattformen R3 reine Geldtransfers, auf Nexi die Optimierung von Working Capital und auf EPN Währungstransaktionen.

Der Giralgeld-Token hat eine weitere Besonderheit: Er stützt sich auf die herkömmliche Interbankenabwicklung. So kann der Token auch ohne eine digitale Zentralbankwährung (wCBDC) oder einen Unified Ledger, der Märkte für finanzielle Vermögenswerte auf gemeinsamen programmierbaren Plattformen verknüpft, auf verschiedenen DLT-Plattformen funktionieren. Eine zentrale Rolle kommt dem technischen Dienstleister zu, der den Teilnehmern gemeinsame Dienste zur Verfügung stellt. Dessen Aufgaben und Zuständigkeiten sind bereits festgelegt und werden weiter verfeinert.

Input für die EZB

Mit der Machbarkeitsstudie hoffen Banken und Industrie, auch der Entwicklung des digitalen Euro bei der EZB noch eine neue Richtung geben zu können. „Die Hoffnung ist, dass mit diesem Projekt auch das Eurosystem die Bedeutung von industriellen Anwendungsmöglichkeiten erkennt und im Projekt zum digitalen Euro zeitnah berücksichtigt“, sagt Schönborn.

Diskussion kommt in Gang

In ihrem aktuellen Projekt arbeitet die EZB lediglich an der Version einer rCBDC, einer Retail Central Bank Digital Currency. Industrielle Anwendungsfälle sind dem Bericht zufolge noch nicht in Betracht gezogen worden. BDI und DK bedauern dies. Allerdings scheine sich eine Diskussion darüber zu entwickeln, ob solche Anwendungsfälle einbezogen werden könnten und der digitale Euro als Token ausgegeben werden solle.

In der Zwischenzeit und als weiterer wichtiger Akteur in der vielfältigen digitalen Geldlandschaft der Zukunft könnte der Giralgeld-Token auch die Bedürfnisse des Industriesektors erfüllen, sind BDI und DK überzeugt. „Geschäftsbankgeld hat die richtigen Eigenschaften, um eine sichere Form von On-Chain-Geld zu sein“, heißt es. Es sei auch entscheidend für die Erleichterung wirtschaftlicher Aktivitäten, indem es die Mittel für Transaktionen, Investitionen und Ersparnisse bereitstellt.

Aufsichtsbehörden involviert

Aktuell laufen Gespräche der Projektbeteiligten mit den Aufsichtsbehörden – darunter mit EZB, Bundesbank und Finanzaufsicht BaFin –, wie ein Giralgeld-Token Wirklichkeit werden kann und welche Regulierungsthemen zu berücksichtigen sind. Konkret geplant ist schon ein Pilotprojekt, in dem die Integration des Tokens in echter Umgebung mit richtigem Geld getestet werden soll. Auch dazu braucht es die Unterstützung der Regulierer, da die Prozesse mit den Systemlandschaften in den Kreditinstituten verknüpft werden müssen.

Weitere Aspekte sollen zudem untersucht werden, die mit dem bisherigen Projekt nicht oder nicht ausreichend beleuchtet wurden: Dazu gehören Datenschutz sowie Integration von Banken und Unternehmen. Für weitere Schritte sollen mehr Banken einbezogen und das Spektrum der Industrieunternehmen und Technologienanbieter ausgeweitet werden. Es gehe aber nicht nur um eine quantitative Ausweitung. Vielmehr solle auch die Widerstandsfähigkeit des Systems vorangebracht und seine Funktionalität ausgeweitet werden. Vieles liegt noch in der Zukunft, aber eines ist heute schon sicher: Gelingen kann der Giralgeld-Token nur, wenn die deutsche Kreditwirtschaft eng zusammenarbeitet und an einem Strang zieht. Dies ist ihr in der Vergangenheit schon häufig schwergefallen.

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