Bedrohliche Flut an Treasury-Emissionen
Bedrohliche Flut an Treasury-Emissionen
USA dürften bis September 850 Mrd. Dollar an Schatzwechseln begeben – Gefahr für Bankensystem und Märkte
Von Alex Wehnert, New York
Eine gefährliche Flut rollt auf die Finanzmärkte zu. Denn nach der Einigung im Streit über die US-Schuldenobergrenze dürfte die Treasury laut der Großbank J.P. Morgan bis Ende September kurzlaufende Staatsanleihen im Gegenwert von 850 Mrd. Dollar begeben. Schließlich konnte sich das Finanzministerium monatelang kein Geld über neue Wertpapiere leihen, während die demokratische Regierung um Präsident Joe Biden mit republikanischen Vertretern im Kongress um einen Kompromiss im Schuldenkonflikt rang. Die Staatskassen sind leergefegt: Ende Mai war der Treasury General Account bei der Fed auf unter 50 Mrd. Dollar geschrumpft – nun holen die USA die seit Januar auf Eis gelegten Emissionen nach.
Angespannte Stimmung
Doch ein solches Neuvolumen an T-Bills binnen so kurzer Zeit droht die Marktteilnehmer zu überfordern und erhebliche Belastungen für das Bankensystem nach sich zu ziehen. Denn zahlreiche Kreditinstitute sind verpflichtet, sich als Primärhändler an Staatsanleiheauktionen zu beteiligen – und damit den Treasury General Account wieder aufzufüllen. Und wenngleich die führenden US-Geldhäuser durchaus über ein robustes Maß an Liquidität verfügen: Die jüngste Krise im Sektor, in deren Zuge die First Republic Bank, die Silicon Valley Bank und die Signature Bank kollabierten und damit drei der vier größten Bankzusammenbrüche in der Geschichte der Vereinigten Staaten hinlegten, sorgt für äußerst angespannte Stimmung unter Marktteilnehmern.
Die Furcht geht um, dass das Neuangebot an kurzlaufenden Staatsanleihen im Markt erhebliche Wertverluste in den Bestandsportfolios der Geldhäuser nach sich ziehen wird. Wohin dies führen kann, wenn der Liquiditätsbedarf plötzlich – zum Beispiel infolge eines stärker als erwartet ausfallenden Einlagenschwunds – steigt und die Kreditinstitute diese Verluste realisieren müssen, haben die genannten Bankenzusammenbrüche eindrucksvoll gezeigt.
Angesichts der angespannten Lage hoffen Bankvertreter und Investoren nun, dass Geldmarktfonds die Hauptlast der in den kommenden Monaten anstehenden Treasury-Auktionen schultern werden. Denn diese Vehikel sitzen laut dem Branchenverband Investment Company Institute auf Assets im Rekordvolumen von nahezu 5,5 Bill. Dollar – seit Jahresbeginn sind ihre verwalteten Mittel um 643 Mrd. Dollar bzw. 13,4% gewachsen.
Die Entwicklung ist zugleich Mitauslöser und Folge der Bankenkrise. Denn einerseits hat die restriktive Geldpolitik der Federal Reserve seit Frühjahr 2022 die Renditen kurzlaufender Staatsanleihen massiv angeschoben: Die Verzinsung des dreimonatigen Schatzwechsels schwankte Anfang März des vergangenen Jahres zwischen 0,3 und 0,4%, zuletzt lag sie bei 5,2554%. Damit sind auch die Renditen von Geldmarktfonds gestiegen, die Vehikel wurden gegenüber Sparkonten damit attraktiver. Andererseits verstärkte die Krise im Finanzsektor den Abzug von Bankeinlagen und die Umschichtung in Geldmarktfonds, da Sparer ihr Geld in Sicherheit zu bringen suchten und dieses kurzfristig parken mussten.
Zuletzt haben sich die Bankeinlagen in den USA zwar wieder stabilisiert, laut Fed-Daten liegt ihr Volumen aber immer noch 3,2% unter dem zu Jahresbeginn erreichten Wert. Oder in absoluten Zahlen: Seit Anfang Januar sind den Geldhäusern insgesamt 528,4 Mrd. Dollar abgeflossen, wobei die Zuflüsse an führende Branchenvertreter wie J.P. Morgan bereits eingerechnet sind.
Der amerikanische Staat, dessen Regulierungsbehörden das Vertrauen ins Bankensystem zuletzt durch Einführung eines neuen Notfallkreditprogramms zu stärken versuchten, steht nun allerdings vor einem weiteren Dilemma. Denn bedeutende Teile der Assets von Geldmarktfonds sind in der Overnight Reverse Repo Facility (ON RRP) der Fed geparkt. Die Übernachttransaktionen stellen einen wichtigen Teil der Offenmarktgeschäfte der Notenbank dar und sollen dazu beitragen, die Geldmenge effektiv zu managen. In ihrem Rahmen kaufen Marktteilnehmer Wertpapiere, zum Beispiel US-Schatzwechsel, von der Fed, die diese am nächsten Tag für einen höheren Preis zurückkauft. Die Differenz zwischen Kauf- und Verkaufspreis streichen an der ON RRP beteiligte Banken und Geldmarktfonds als Zinserträge ein.
Attraktive Repo-Fazilität
Derzeit liegen im Rahmen der als hochsicher geltenden Reverse-Repo-Fazilität gezahlten Zinssätze annualisiert bei 5,05%. Für Marktteilnehmer ist eine Beteiligung an den Übernachttransaktionen damit äußerst attraktiv: Das Volumen der im Rahmen des ON RRP verkauften Staatsanleihen belief sich am vergangenen Freitag auf mehr als 2,1 Bill. Dollar und damit auf ein Vielfaches der historisch üblichen Niveaus. Um Geldmarktfonds anlocken zu können, muss die Treasury im Rahmen anstehender T-Bill-Auktionen also wohl wesentlich höhere Verzinsungen bieten als die Fed im Rahmen ihrer Offenmarktgeschäfte. Möglicherweise, so die Befürchtung von Analysten, werden Raten von 6% und mehr fällig.
Auch Finanzministerin Janet Yellen warnte zuletzt vor den Risiken durch hohe Finanzierungskosten des Staates. Nach der Übereinkunft in Washington drohen diese Kosten also noch stark zu steigen – unabhängig davon, ob die Fed ihren Zinserhöhungskurs am Mittwoch fortsetzt oder nicht. Laut den Analysten von Bank of America dürfte dies die Renditen von Geldmarktfonds zusätzlich anschieben. Je kräftiger diese anziehen und je attraktiver die Cash-Vehikel werden, desto mehr müssen sich Kreditinstitute auf anhaltende Abflüsse von Einlagen einstellen. Kommt es zu neuen Schieflagen regionaler Geldhäuser, stehen wohl weitere Turbulenzen an den Aktienmärkten zu erwarten.
Zwar hat der S&P 500 um mehr als 20% zugelegt, seit er im Oktober 2022 den tiefsten Stand der vergangenen zwölf Monate erreichte – damit befindet sich die Wall Street im Bullenmarkt. Doch die Rally gilt als schwach untermauert, stützt sie sich doch auf eine kleine Zahl schwerer Tech-Werte, die von der Euphorie um künstliche Intelligenz profitieren. Enttäuscht die Geschäftsentwicklung der Software- und Internetriesen auch nur leicht, ist der S&P 500 laut Analysten anfällig für heftige Rückschläge – umso mehr, als die T-Bill-Flut den sicheren Hafen der US-Staatsanleihen zu überschwemmen droht.