Berichtspflichten einmal anders herum
Notiert in Brüssel
Berichtspflichten einmal anders herum
Von Detlef Fechtner
Gutachten heißen Gutachten, weil man gut drauf achten muss, wer sie erstellt. Diese alte Kalenderblattweisheit gilt vor allem in Brüssel. Denn in Europas Hauptstadt machen ungemein viele Gutachten die Runde. Das wiederum dürfte daran liegen, dass es in Brüssel bekanntlich von Lobbyisten nur so wimmelt. Offiziell registriert haben sich 13.000. Die Aktivisten von Lobbycontrol schätzen, dass es in Wirklichkeit fast doppelt so viele sind. Angesichts von 23.000 in Brüssel tätigen EU-Beamten würde das bedeuten: ein Interessensvertreter pro EU-Beamten. Sozusagen Manndeckung.
Die Hauptaufgabe der Lobbyisten ist selbstverständlich nicht, Europaabgeordnete in überteuerte Lokale einzuladen, um sie dort mit Geld oder dem Versprechen hochdotierter Posten zu bestechen – selbst wenn das manche Doku-Soap zu insinuieren versucht. Nein, die Alltagsarbeit von den Vertretern organisierter Interessen verläuft gemeinhin viel unaufregender: Sitzungen verfolgen, Drahtberichte an die heimischen Unternehmen schreiben, sich mit EU-Gesetzgebern treffen, um die Argumente ihrer Firmen und Branchen vorzutragen. Und eben mit den von ihren Arbeitgebern in Auftrag gegebenen Studien und Gutachten bei EU-Kommissionsbeamten, EU-Parlamentariern und den Ständigen Vertretern der nationalen Regierungen hausieren gehen, um unter dem Eindruck wissenschaftlicher Evidenz dafür zu werben, dass die EU-Gesetzgeber die Auftraggeber der Lobbyisten möglichst in Ruhe Geld verdienen lassen.
Reporting als Investitionsbremse
„In Ruhe“ heißt vor allem: ohne umfangreiche Berichtspflichten. Mittlerweile werden die Reporting-Anforderungen in Umfragen unter Unternehmen als eine der größten Investitionsbremsen genannt. Mit Spannung und Neugierde verfolgen deshalb derzeit viele Firmen, wie die EU-Kommission ihre Ansage eines 25-prozentigen Abbaus der Berichtspflichten konkret umsetzen möchte – also wie die Behörde die Umsetzung „from rhetorics to specifics“ schaffen will.
Beim Warten auf Maßnahmen, die den Verwaltungsaufwand reduzieren sollen, können sich Unternehmen im Moment zumindest damit trösten, dass die EU-Beamten nun auch am eigenen Leib erfahren, wie mühselig Reporting sein kann. Denn per Beschluss vom 4. Dezember hat die EU-Kommissionsspitze angeordnet, dass ab Januar alle Beamten bis hin zur Ebene der Referatsleiter ihre Treffen mit Interessensvertretern offenlegen und protokollieren müssen: Berichtspflichten einmal anders herum. Was bisher für einen Kreis von 400 Generaldirektoren, Kommissaren und Direktoren galt, findet nun auf 1.500 höherrangige EU-Beamte Anwendung.
Natürlich gibt es Ausnahmen. So sind „spontane Treffen und Treffen mit rein privatem oder gesellschaftlichem Charakter“ von der Regelung ausgenommen. Das ist natürlich erfreulich – insbesondere für EU-Beamte, die mit Lobbyisten verheiratet sind. Oder die nach ihrem Treffen bei Parship.de feststellen, dass der frischverliebte Partner bei einem Industrieverband arbeitet.