Bewährungsprobe für Chinas Charmeoffensive
Handelskonflikt
Harte Probe für Chinas Charmeoffensive
Im handelspolitischen Kräftemessen zwischen China und der EU muss Peking mehr Vorsicht als sonst walten lassen.
Von Norbert Hellmann
EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis ist zu mehrtägigen Gesprächen nach China gereist. Das als Routineveranstaltung terminierte Treffen – es geht um den nach der postpandemischen Öffnung Chinas wieder aufgenommenen regelmäßigen Austausch hoher Handelsvertreter – nimmt im Zuge neuer Reibungspunkte zwischen Brüssel und Peking allerdings einen brisanten Charakter an. Vor zehn Tagen hat die Europäische Kommission überraschend ein Untersuchungsverfahren zu Importen von Elektrofahrzeugen aus China angekündigt. Aus diesem können mit einigermaßen hoher Wahrscheinlichkeit Strafzölle resultieren. Da es nicht um Dumping-Praktiken einzelner Hersteller geht, sondern um nationale und regionale Subventionsleistungen, die übergreifend für staatliche wie auch private E-Auto-Hersteller gelten, steht Pekings Industriepolitik am Pranger.
Die Bedenkenträger überwiegen
Über Sinn und Unsinn des Vorgehens der Kommission gibt es in Europa geteilte Meinungen, wobei eher die Bedenkenträger überwiegen. Dies nicht nur, weil die Elektroautoindustrie praktisch überall aus industrie- wie auch klimapolitischen Gründen von Subventions- und Förderpraktiken profitiert und damit die Beweislage kompliziert ist. Kritiker werfen der EU-Kommission je nach Metaphern-Wahl vor, mit einer Zündholzschachtel zu spielen oder im Glashaus sitzend mit Steinen zu werfen. Schließlich könnte Peking nicht nur mit tarifären Gegenmaßnahmen, sondern auch mit Gemeinheiten gegenüber europäischen Unternehmen vor Ort, allen voran der deutschen Automobilbranche, reagieren.
Selbstverständlich antwortet die chinesische Regierung samt der Staatspresse mit straffer Rhetorik auf die Avance der Kommission. Man spricht von blankem selbstzerstörerischen Protektionismus, unverantwortlicher handelskriegerischer Provokation und feindlicher Einstellung gegenüber Chinas legitimem wirtschaftlichen und technologischen Aufstieg. Was Peking derzeit allerdings nicht tut, ist wie im Schlagabtausch mit den USA üblich von vorneherein Rache zu schwören und vor expliziten Gegenmaßnahmen zu warnen. Die Tonlage ist eher larmoyant anklagend und beschwörend als drohend. Man fordert Brüssel dazu auf, zur Räson zu gelangen und sich nicht von den USA aufgewiegelt auf abschüssiges handelspolitisches Konfliktterrain zu begeben.
Heikle Gratwanderung
Peking hat gerade in diesem Jahr genauso wenig Interesse daran, einen öffentlichkeitswirksamen Handelskonflikt mit Eskalierungspotenzial gegenüber Europa zu entfachen wie auch mit expliziten Drohgebärden gegenüber europäischen Unternehmen aufzutreten. Vielmehr befindet man sich inmitten der ungewohnt fragilen Konjunktursituation auf einer heiklen Gratwanderung, um ausländische Direktinvestoren wie auch Finanzanleger atmosphärisch bei der Stange zu halten. Das hat nichts mit einem politischen Richtungswechsel zu tun, sondern mit pragmatischen Erfordernissen.
Peking sieht sich binnenwirtschaftlich mit zyklischen und strukturellen Problemen konfrontiert, die sich nach der an den Märkten nur kurz gefeierten „Wiederöffnung“ keineswegs in Wohlgefallen aufgelöst, sondern sich weiter verdichtet haben. Hinzu kommen außenwirtschaftliche Belastungsfaktoren in Gestalt eines schweren Exportknicks, eines klaren Abschmelzens der ausländischen Direktinvestitionen und eines gewaltigen Abwertungsdrucks auf dem Yuan. Die Wechselkursschwäche in Verbindung mit der dürftigen Konjunkturperformance hat in den vergangenen Wochen einem breiteren Rückzug ausländischer Gelder aus Chinas Finanzmärkten Vorschub geleistet, der Peking alarmiert.
Mit Blick auf das stark getrübte heimische Anlegersentiment weiß man aus dem Handelsstreit mit den USA, wie sensibel Chinas Märkte auf solche Konflikte reagieren. Das soll nicht heißen, dass Dombrovskis und die EU-Kommission nun mit Samthandschuhen angefasst werden. Peking wird weiter Druck machen, aber sehr vorsichtig mit öffentlichen Drohgebärden oder echten Strafmaßnahmen hantieren. Sonst würde die rumpelige "Charmeoffensive" gegenüber ausländischen Investoren auch völlig entgleisen.