LeitartikelAlphabet

Big Tech setzt auf den Nimbus des Normalen

Wenn der Nimbus eines Innovationsführers verblasst, müssen konventionelle Instrumente her, um die Investoren bei Laune zu halten. Alphabets erste Dividende macht Amazon zum Außenseiter.

Big Tech setzt auf den Nimbus des Normalen

Alphabet

Nimbus des Normalen

Von Heidi Rohde

Wenn der Nimbus eines Innovationsführers verblasst, müssen konventionelle Instrumente her, um die Investoren bei Laune zu halten. Alphabets erste Dividende macht Amazon zum Außenseiter.

Die Wall Street hat die Marktkapitalisierung von Alphabet mit einem Kurssprung von 10% über die 2-Bill.-Dollar-Marke gehievt, als die Google-Mutter Ende vergangener Woche die erste Dividendenzahlung in der Unternehmensgeschichte angekündigt hatte. Der Internet-Riese folgt damit zeitnah dem Beispiel von Meta, die im Februar erstmals zu diesem Mittel der Aktionärsvergütung griff, das lange als quasi unvereinbar mit dem Nimbus eines innovativen Wachstumsunternehmens verpönt war. Nicht von ungefähr ist Microsoft unter den US-Technologiegiganten das Unternehmen mit der längsten Dividendenhistorie. Schon 2003 erhielten die Aktionäre erstmals eine Gewinnbeteiligung. Die Gates Company hatte damals den Aufbruch ins Mobilfunkzeitalter verpasst, bei Wachstum und Innovation schien der Konzern von jungen Rivalen abgehängt, der Aktienkurs dümpelte dahin.

Start-ups im Rampenlicht

Vergleichbar kritisch ist die Lage weder bei Meta noch bei Alphabet, jedoch haben beide Unternehmen in der jüngsten digitalen Revolution mit künstlicher Intelligenz (KI) den Nimbus eines Innovationsführers eingebüßt. Er ist auf Start-ups wie ChatGPT oder Anthropic übergegangen, eine Entwicklung, die den Aktionären der börsennotierten Konzerne sauer aufstößt, nachdem die Kartellbehörden der bewährten Praxis, Rivalen aus der Kategorie „jung und gefährlich“ einfach wegzukaufen, einen Riegel vorgeschoben haben. Indes hat gerade Microsoft mit dem Kunstgriff der weitblickenden „Partnerschaft“ mit ChatGPT an der Börse den meisten Lorbeer eingesammelt. Zu dem 3 Bill. Dollar schweren Windows-Konzern klafft für Alphabet in der Marktkapitalisierung eine Lücke von rund einem Drittel.

Aufholjäger statt Frontrunner

In der ebenso ungewohnten wie ungeliebten neuen Rolle als Aufholjäger statt Frontrunner wächst der Druck auf die etablierten Tech-Giganten, sich an die Konventionen zu halten, die für arrivierte Börsenschwergewichte gelten. Eine reguläre Dividende gibt den Aktionären die Sicherheit einer kontinuierlichen Gewinnausschüttung – im Gegensatz zu den von Big Tech bisher bevorzugten fallweisen Aktienrückkäufen. Da die Rendite der milliardenschweren Investments in KI und virtuelle Welten buchstäblich in den Sternen steht, weil bisher häufig nicht mal ein Umsatzbezug für diese Gelder zu erkennen ist, geschweige denn ein Ergebnisbeitrag, gewinnt die Beteiligung an den – solide wachsenden – Ergebnissen im Kerngeschäft an Bedeutung. Dies, zumal eine anhaltende Thesaurierung der Gewinne angesichts der milliardenschweren Barreserven, die die cashflowstarken Unternehmen angehäuft haben, kaum vertretbar erscheint. Die Rücklagen sind zuletzt noch deutlich gewachsen, denn im Gegensatz zu anderen Unternehmen kommt den Technologieriesen der Zinsanstieg in Gestalt milliardenschwerer Erträge zugute. Allein die drei marktschwersten Konzerne Apple, Microsoft und Alphabet horten zusammen mehr als 500 Mrd. Dollar Cash und konnten damit im vergangenen Jahr fast 25 Mrd. Dollar Zinsen vereinnahmen. Auch daran wollen die Investoren zu Recht beteiligt werden.

Amazon unter Druck

Der Beitritt von Alphabet zur Dividendenliga setzt Amazon unter Druck, die als Letzte der sogenannten „Glorreichen Sieben“ noch nie zu diesem Instrument der Aktionärsvergütung gegriffen hat. Auch wenn die Aktienrally aller sieben seit Jahresbeginn durchweg beeindruckend ist, bildet der E-Commerce-Pionier unter ihnen das Schlusslicht – ein Fingerzeig für das Management. Der Konzern tut sich mit der neuen Normalität schwerer als die sechs Rivalen. Denn Amazon schleppt ein mäßig profitables Kerngeschäft mit, dessen Ertragsschwäche auch zuletzt wieder durch die Umsatz- und Gewinnsprünge des weltweit führenden Webhosters AWS aufgefangen wurde. Darüber hinaus leistet sich der Konzern eine teure Plattformfehde im Streamingmarkt mit Netflix und Spotify, denen Prime hart auf den Fersen ist, allerdings um den Preis von „Investitionen“, die für die Anleger im Dunkeln bleiben. Hinzu kommen die Aufwendungen für KI in der Cloud. Amazon hat daher am ehesten Grund, Cash zu horten und vor einer verbindlichen Ausschüttungs-Policy zurückzuschrecken. Allerdings wird die Position nur schwer haltbar sein, wenn zumindest der Nimbus des „Glorreichen“ nicht verblassen soll.