Großbritannien vor der Wahl

Feindliches Umfeld für Ölkonzerne

Großbritannien wird für die Öl- und Gasbranche zunehmend zum feindlichen Umfeld. Labour wird ihr Geschäft nach einem Wahlsieg wirtschaftlich unattraktiv machen.

Feindliches Umfeld für Ölkonzerne

Feindliches Umfeld für Ölkonzerne

Klimakläger und der zu erwartende Labour-Wahlsieg machen die Nordsee-Ölförderung zunehmend unattraktiv

Von Andreas Hippin, London

Der britischen Öl- und Gasbranche steht diese Woche ein weiterer Tiefschlag ins Haus. Die Labour Party, die aller Wahrscheinlichkeit nach die Parlamentswahlen am Donnerstag für sich entscheiden wird, will die trotz sinkender Preise immer noch erhobene Übergewinnsteuer (Windfall Tax) weiter nach oben schrauben. Zudem soll es künftig nicht mehr möglich sein, Investitionen in die Nordsee-Exploration und Förderung von der Steuer abzusetzen.

Zuvor hatte der Supreme Court der kleinen Ölgesellschaft UK Oil & Gas die Aufnahme der Förderung in der Nähe des Londoner Flughafens Gatwick untersagt. „Das ziemlich verblüffende Urteil des Gerichts, das allen früheren Entscheidungen zuwiderläuft, unterstreicht noch einmal, warum sich der Schwerpunkt des Unternehmens in den vergangenen Jahren weg von Öl und Gas und hin zur Schaffung strategischer unterirdischer Wasserstoffspeicher verschoben hat“, sagte Stephen Sanderson, der CEO von UK Oil & Gas.

Präzedenzfall für Klimakläger

Die Begründung für die Aufhebung einer vor fünf Jahren von der Lokalverwaltung erteilten Genehmigung könnte weitreichende Folgen für alle geplanten Vorhaben zur Nutzung fossiler Brennstoffe haben. Denn das oberste Gericht bemängelte in der 3:2-Entscheidung, dass bei der Umweltverträglichkeitsprüfung des Projekts nur die bei der Förderung freigesetzten Treibhausgasemissionen berücksichtigt wurden, nicht aber die bei Verbrennung des Öls freiwerdenden Emissionen.

Friends of the Earth feierte das „bahnbrechende“ Urteil. Die Umweltschutzorganisation hatte die Klägerin aus Surrey unterstützt. Auch für das geplante Kohlebergwerk in Whitehaven (Cumbria) und die Erschließung des Nordsee-Ölfelds Rosebank durch die norwegische Equinor seien keine Angaben zu den sogenannten Scope-3-Emissionen gemacht worden. Damit sind alle indirekten Emissionen gemeint, die entlang der Wertschöpfungskette eines Unternehmens entstehen.

Arbeitsplätze in Gefahr

Gegen das Kohlebergwerk klagen Klimaschützer und Friends of the Earth, gegen die Erschließung von Rosebank ziehen Uplift und Greenpeace vor Gericht. Auch gegen die von Shell vorangetriebene Erschließung des Ölfelds Jackdaw geht Greenpeace juristisch vor.

Steigende Steuern und „lawfare“: Großbritannien wird für Energiekonzerne zunehmend zum feindlichen Umfeld. Hinzu kommt die Ankündigung von Labour, im Falle eines Wahlsieges keine neuen Nordsee-Öl- und Gaslizenzen zu vergeben. Aus Sicht der Öllobby Offshore Energies UK könnten die Pläne der Opposition 42.000 Arbeitsplätze kosten. Rund 200.000 Jobs im Vereinigten Königreich hängen an der Offshore-Industrie.

Auf Eis gelegt

Jersey Oil & Gas, Serica Energy und Neo Energy haben die Erschließung des 900 Mill. Pfund schweren Projekts Buchan im Nordosten von Aberdeen für ein Jahr auf Eis gelegt. Man brauche Klarheit darüber, was die neu gewählte Regierung vorhabe, und müsse sicherstellen, dass das Projekt weiterhin finanziell attraktiv sei.

Im Mai kündigte der US-Energiekonzern Chevron an, seine verbliebenen Öl- und Gas-Assets in der Nordsee nach 55 Jahren in der Region abzustoßen. Er gehörte in den 1960er Jahren zu den ersten Unternehmen, die dort nach Öl bohrten. Dabei handelt es sich unter anderem um eine Beteiligung von 19,4% am Ölfeld Clair, wo die Förderung von BP betrieben wird.

Chevron zieht weiter

Zwar betonte Chevron, die Entscheidung habe nichts mit den britischen Steuern zu tun, doch trennt sich das Unternehmen seit einiger Zeit von alternden Vorkommen, um in neue und kostengünstigere Öl- und Gasfelder zu investieren. Bereits 2018 verkaufte es seine Beteiligung an Rosebank an die norwegische Equinor. Ein Jahr später gab es Nordsee-Assets an Ithaca Energy ab.

ExxonMobil steht kurz davor, ihr Engagement in der Nordsee nach fast 60 Jahren vollständig zu beenden. Bereits 2021 verkaufte der US-Ölkonzern den Großteil seiner Assets an die Private-Equity-Portfoliogesellschaft Neo Energy. Nun will das Unternehmen zusammen mit Shell die gemeinsam genutzten Gasfelder Clipper und Leman Alpha an das britische Start-up Viaro Energy weiterreichen.

Großprojekt im Südatlantik

Allen Bemühungen von Klimaaktivisten und Labour zum Trotz könnte demnächst grünes Licht für die Erschließung eines enormen Ölvorkommens gegeben werden, das die britische Klimabilanz belasten würde: Die Regierung der Falklandinseln ist gerade dabei, die Meinung der Bürger des Überseegebiets zur Förderung von Öl im Südatlantik einzuholen.

Über eine Fördergenehmigung können die Falklandinseln selbst entscheiden. Das Öl würde allerdings, wie der „Telegraph“ unter Berufung auf die Klimaaktivisten von Uplift berichtet, zum nationalen Klimabeitrag (Nationally Determined Contributions) Großbritanniens hinzugerechnet, den das Land dem UN-Klimasekretariat melden muss.

Navitas hält die Mehrheit

Es geht um das Ölfeld Sea Lion im Norden der Inseln, die 42 Jahre nach der argentinischen Niederlage im Falklandkrieg immer noch von Argentinien beansprucht werden. Dort wird wesentlich mehr Öl vermutet, als Rosebank zu bieten hat. Die israelische Navitas hält 65% an den Bohr- und Förderrechten, die britische Rockhopper Energy den Rest.

Trotz aller Lippenbekenntnisse zu Net Zero wird Großbritannien noch viele Jahre auf Öl und Gas angewiesen sein. Sie trugen im vergangenen Jahrzehnt stets mehr als 70% zum Primärenergiemix bei. Wer sich nur auf die Stromerzeugung konzentriert, für die erneuerbare Energien eine größere Rolle spielen, erhält einen falschen Eindruck.

Wird die Öl- und Gasproduktion wirtschaftlich uninteressant oder auf dem Rechtsweg unmöglich gemacht, muss künftig mehr aus Ländern wie Katar importiert werden. Sinnvoller wäre, sie unter strengen Umweltauflagen am Leben zu erhalten.

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