Schanghai

Blubb, blubb, da war sie weg

Die perfekteste Wasserspringerin aller Zeiten kommt aus China. Eines aber wird ihr wohl nie mehr gelingen: nämlich in der Öffentlichkeit völlig geräuschlos unterzutauchen.

Blubb, blubb, da war sie weg

Beim olympischen Wasserspringen vom 10-Meter-Turm macht es in der Regel „plitsch“ oder „platsch“. Ersteres ist besser. Die Wasserspritzmenge und Geräuschintensität bei der Eintauchphase steht nämlich in einem umgekehrten Verhältnis zur Leistungsbewertung und Notenvergabe. Es geht also nicht um höher, schneller, weiter, sondern um das berühmte „weniger ist mehr“. Bei der gerade einmal 14-jährigen chinesischen Wasserspringerin Quan Hongchan hat es in Tokio jedoch nur „blubb“ gemacht. Die kleine Quan wurde vom Springerpool regelrecht eingesogen und geräuschlos verschluckt. Physikalische Schwerkraftgesetze sind zum Erstaunen der Fachwelt für einen Moment außer Kraft gesetzt worden. Der mit Höchstbewertungen stets knauserig umgehenden Jury blieb gar nichts anderes übrig, als den Wasserfloh serienweise mit der Traumnote 10 zu überschütten.

Wasserspringen ist ein Kultsport im Reich der Mitte und es gehört insbesondere bei den Frauen zum guten Ton bei Olympischen Spielen, alle verfügbaren Medaillen abzuräumen. Athletinnen wie Guo Jingjing, Wu Minxia, die auf früheren Olympiaden mit zahlreichen Medaillen, ansprechendem Äußeren und perfektem Benimm geglänzt haben, sind von Parteiführung und Breitenpublikum verhätschelte Superstars. Sie haben es im Nachgang zu ihrer sportlichen Karriere als „Grandes Dames“ zu großem Ruhm und hohen Werbeeinnahmen gebracht. Auch bei Madame Tussauds in Schanghai, dem chinesischen Ableger des berühmten Londoner Wachsfigurenkabinetts, wurde ein Ehrenplätzchen für sie freigeräumt.

Auf welches Podest aber soll man nun Quan Hongchan heben? Das zweifelsohne größte Talent, das diese Sportart jemals erlebt hat, lässt sich schlecht als Stilikone verehren. Sie ist sowohl vom Aussehen wie auch vom Auftreten her einfach nur ein unschuldiges kleines Kind mit einer Bubifrisur, das auf Befehl furchtlos Saltos und Schrauben in der Luft drehen und gekonnt nach unten bringen kann. Chinesische Goldmedaillengewinner folgen nach dem Sieg einem festbestimmten Ritual, bei dem sie sich als Individuum eher zurücknehmen und Nationalstolz in den Vordergrund stellen. Sie danken ihren Trainern und Förderern, huldigen der Familie und der Parteiführung und zeugen davon, wie sich mit harter Arbeit und Pflichtgefühl Träume verwirklichen lassen. In den Interviews nach ihrem Sensationserfolg hat Quan brav und wahrheitsgemäß drauflosgequatscht, was sie so in ihrem Inneren bewegt beziehungsweise zu Höchstleistungen angespornt hat.

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Nun, sie hat es nicht so mit der Schule und fand das Wassergehüpfe trotz lästiger Trainingsdisziplin immer noch besser, als wie andere chinesische Kinder den ganzen Nachmittag und Abend nur Hausaufgaben machen zu müssen. Sie liebt Videospiele, aber findet es doof, dass sie sich aufgrund chinesischer Schutzregelungen für Minderjährige jeden Tag nur ein Stündchen damit befassen darf. Sie mag Snacks und Süßigkeiten, von denen die in äußerst ärmlichen Verhältnissen aufgewachsene Quan bislang aber nicht viel abbekommen hat. Ja, und sie hat gehofft mit Wasserspringen etwas Geld zu verdienen. Und zwar a) um ihre Familie und schwerkranke Mutter zu unterstützen und b) einmal einen Themenspielpark besuchen zu können, was bislang nicht drin war.

Der Kleinen kann geholfen werden. Das erfrischende Anderssein der Olympionikin Quan hat in China wie eine Bombe eingeschlagen und die Massen mobilisiert. Nun hagelt es Sponsoreninitiativen. Ihr Heimatort musste abgeriegelt werden, weil unendliche Besucherströme, die die Familie mit Geschenken überhäufen wollen, die Zufahrtsstraßen blockieren. Das örtliche Krankenhaus hat bereits angekündigt, ihrer Mutter und dem ebenfalls erkrankten Großpapa alle erdenklichen medizinischen Leistungen gratis anzubieten. Und es ist sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis Quan im Blitzlichtgewitter durch den Disneyland-Themenpark in Schanghai schlendern darf.

Eines wird der perfektesten Wasserspringerin aller Zeiten aber wohl nie mehr gelingen: nämlich in der Öffentlichkeit völlig geräuschlos unterzutauchen.

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