Boeing hat viele Problemfelder
Von Lisa Schmelzer, Frankfurt
Positive Nachrichten rund um den amerikanischen Luftfahrtkonzern Boeing haben derzeit eher Seltenheitswert. Zuletzt gab es tatsächlich eine: Die US-Luftfahrtaufsicht FAA erteilte grünes Licht für Reparaturen an Flugzeugen des Problemtyps 737 Max. Mit den genehmigten Nachbesserungen sei der Weg für eine Rückkehr zum Flugverkehr frei, teilte der US-Konzern daraufhin mit.
Gerade rund um das Flugzeugmodell 737 Max, jahrelang einer der Hauptergebnisträger im zivilen Luftfahrtgeschäft der Amerikaner, sind schlechte Nachrichten jedoch die Regel. Die Reparaturen wurden notwendig, weil Probleme mit der Elektrik aufgetreten waren. Betroffen waren laut früheren Angaben der FAA 106 Maschinen. Diese durften nicht mehr abheben, zudem gerieten Auslieferungen ins Stocken. Im April übergab Boeing lediglich 17 Flugzeuge an seine Kunden, Konkurrent Airbus lieferte in der gleichen Zeit 45 Maschinen aus. Zusätzlich zu den Jets im Flugbetrieb müssen Hunderte 737 Max repariert werden, die Boeing seit 2019 gebaut und noch nicht an Kunden übergeben hat. Die Modellserie war nach zwei Abstürzen rund 20 Monate mit Flugverboten belegt und erst im November wieder in den USA und im Januar in Europa zugelassen worden. Als Grund für die Unglücke galt eine defekte Steuerungssoftware.
Anders als ein Großteil der Luftfahrtbranche landete Boeing deshalb bereits schwer angeschlagen in der durch die Coronavirus-Pandemie ausgelösten Krise der Branche. Seit nunmehr 14 Monaten ist Flugverkehr nur sehr eingeschränkt möglich, Fluggesellschaften verbrennen Monat für Monat viel Geld, das ihnen mittelfristig bei Investition in neues Fluggerät fehlen dürfte. Zwar laufen mittlerweile wieder erste Bestellungen bei Boeing und Airbus ein, Branchenkenner gehen aber davon aus, dass die Hersteller ihren Abnehmern deutliche Preiszugeständnisse machen mussten.
Aber nicht nur bei den Airline-Kunden sieht es derzeit finanziell düster aus. Auch Boeing selbst verbrennt jede Menge Liquidität, allein in den ersten drei Monaten 2021 rund 3,7 Mrd. Dollar. Allerdings waren es vor einem Jahr wegen des Stillstands der 737-Max-Produktion sogar 4,7 Mrd. Dollar gewesen. Der Nettoverlust lag zwischen Januar und März bei 561 Mill. gegenüber 641 Mill. Dollar im ersten Vierteljahr 2020. Während Airbus schon wieder deutlich an Zuversicht gewonnen hat, erwarten Analysten bei Boeing, dass die Durststrecke noch länger anhalten könnte, mindestens bis ins Jahr 2022 hinein.
Boeing-Chef David Calhoun hat den Aktionären auf der Hauptversammlung im April versprochen, die Bilanz des Konzerns in Ordnung bringen zu wollen und vor allem die Verschuldung abzubauen, die netto mittlerweile fast 42 Mrd. Dollar erreicht hat. Im Augenmerk sei auch eine wieder mögliche Dividendenzahlung, so der Boeing-Chef. Vielen Analysten indes ist diese Fixierung auf Kennzahlen und Bilanz viel zu wenig. Richard Aboulafia vom Analysehaus Teal Group etwa betont, Boeing müsse sich schnell entscheiden, ob man eine Flugzeugfirma sei oder es nur um die Gewinnmaximierung zugunsten der Investoren gehen soll.
Hinter dieser Mahnung steckt unter anderem die Unzufriedenheit mit dem Flugzeug-Portfolio der Amerikaner. Boeing fehlt ein Mittelklassemodell, das zwischen der 737 Max mit nur einem Gang und dem Großraumflugzeug 787 Dreamliner angesiedelt ist. Konkurrent Airbus ist in diesem Segment mit seiner Airbus A321neo unterwegs und heimst damit kräftig Aufträge ein, weil es dazu eigentlich kein Konkurrenzprodukt gibt. Vor einigen Tagen hatte Triebwerkshersteller Rolls-Royce Spekulationen genährt, Boeing komme mit seinen Planungen voran. „Boeing prüft die Möglichkeit für ein neues Flugzeug“, sagte Rolls-CEO Warren East auf der Jahreshauptversammlung. „Wie die anderen Triebwerkshersteller sind wir mit Boeing darüber im Gespräch.“
Boeing gab dazu keinen Kommentar ab. Im Januar hatte CEO Calhoun gesagt, Boeing werde sich mit der Produktstrategie Zeit lassen. Von einem Analysten befragt, hatte er erklärt, die A321 befinde sich „im richtigen Bereich, wohin die nächste Entwicklung führen könnte“. Sollten sich die Amerikaner tatsächlich entscheiden, ein Mittelklassemodell zu launchen, würden indes mindestens sechs Jahre vergehen, bis ein solches Flugzeug tatsächlich abheben würde. In der Zeit könnte Airbus seine A321 weiter verkaufen wie geschnitten Brot. In der Branche bleiben Airlines einem Hersteller in der Regel treu, da ein Wechsel eine Reihe von Veränderungen bei Wartung, Piloten etc. nach sich zieht, was die Kosten nach oben treibt. Wen Airbus also als Kunden gewonnen hat, der dürfte schwerlich für einen Wechsel zu Boeing zu gewinnen sein, zumal, wenn die Produkte vergleichbar sind.
Ärger haben die Amerikaner neben der 737 Max auch mit anderen Flugzeugmodellen. Im Januar wurde bekannt, dass sich das Langstreckenflugzeug 777X um ein weiteres Jahr bis Ende 2023 verzögern wird, was im Geschäftsjahr 2020 für milliardenschwere Sonderbelastungen sorgte. Grund seien verschärfte Anforderungen der Zulassungsbehörden, die nach der Absturzserie mit der Max genauer hinschauen, wie Calhoun einräumte. Die Verzögerung verursachte im Schlussquartal 2020 eine Sonderbelastung vor Steuern von 6,5 Mrd. Dollar (vgl. BZ vom 28. Januar).