Personalrochaden

Börse Stuttgart nimmt einen neuen Anlauf

Zwar braucht sich die Börse mit den ihr eigenen Stärken nicht zu verstecken, angesichts des Wettbewerbs aber scheint ein höheres Tempo geboten. Richten soll es Matthias Voelkel (46), seit Jahresbeginn CEO der Gruppe Börse Stuttgart.

Börse Stuttgart nimmt einen neuen Anlauf

Von Thomas Spengler, Stuttgart

Die Börse Stuttgart steht wieder einmal vor einem personellen Reset. Nachdem in den vergangenen anderthalb Jahren ein Großteil des Managements ausgetauscht wurde, muss sie sich mit neuer Führungsriege einer verschärften Konkurrenz stellen. Zwar braucht sich die Börse mit den ihr eigenen Stärken nicht zu verstecken, angesichts des Wettbewerbs aber scheint ein höheres Tempo geboten. Richten soll es Matthias Voelkel (46), seit Jahresbeginn CEO die Gruppe Börse Stuttgart.

Bereits zum 1. Juni 2021 hatte der ehemalige McKinsey-Partner als Vorstand der Börsenvereinigung die Verantwortung für das Digital- und Kryptogeschäft übernommen. Parallel dazu hatte es eine Reihe von Rochaden in der Führungsriege gegeben, denen zuletzt im November Michael Völter (58), bis dahin Vorstandschef der Börsenvereinigung, zum Opfer fiel. Ein Jahr zuvor hatte bereits Alexander Höptner als CEO der Börse das Handtuch geworfen. Im Kern ging es bei diesen Entscheidungen stets um die Frage, wie sowohl der klassische als auch der digitale Börsenhandel weiterzuentwickeln seien. Mit den beiden Geschäftsbereichen sieht Voelkel den Handelsplatz jedenfalls strategisch gut aufgestellt. Inwieweit es damit gelingt, verlorenen Orderflow zurückzuholen, muss sich aber noch zeigen. Zwar bewegte sich Stuttgart 2021 mit einem um 4% gesunkenen börslichen Gesamtumsatz von 107 Mrd. Euro auf einem weiterhin hohen Niveau. Der Rivale Tradegate aber kam auf ein Plus von 16% auf 378 Mrd. Euro. „Die Flut hebt eben alle Boote – auch die in Stuttgart“, so ein Insider mit Blick auf den Zuwachs an Privatanlegern, der derzeit allen Börsen mehr oder weniger zugutekommt. Wer allerdings mit keinem Neobroker kooperiere, von denen die neue Dynamik weitgehend ausgeht, habe auf Dauer schlechte Karten. Gemeint sind die Handelssysteme Lang & Schwarz Exchange und Gettex der Börsen Hamburg und München, an denen die Neobroker Trade Republic und Gratisbroker für verstärkten Orderflow sorgen.

Auf Partnerschaftssuche

So ist Stuttgart derzeit dabei, mögliche Partnerschaften mit Neobrokern auszuloten – für verbriefte Derivate sowie Aktien. „Neobroker sind innovativ, kundenorientiert und digital – das verbindet uns mit ihnen“, sagt Voelkel. Insofern könne er sich Partnerschaften vorstellen – sie müssten so ausgestaltet sein, dass beide Seiten etwas davon hätten. Ob Stuttgart mit diesen Überlegungen zu spät dran ist? Es gibt jedenfalls Beobachter, die das Rennen der Börsen um die Neobroker als bereits gelaufen abhaken.

Tatsächlich sei aufgrund des anhaltenden Wechsels von Führungskräften in den vergangenen Monaten eine Menge versäumt worden, beklagt ein anderer Börseninsider, so dass etwa der Vorsprung, den sich Stuttgart noch 2019 mit dem Projekt Bison für den Kryptohandel per Smartphone erarbeitet hatte, verspielt worden sei. Andere Pläne verliefen völlig im Sand – so ein Pilotprojekt mit der japanischen SBI Crypto Investment oder eine Kooperation mit Daimler und Bosch zur Tokenisierung auf Blockchain-Basis. Bewegung gibt es dagegen in Sachen „Euwax Prime“. Mit diesem neuen Subsegment für verbriefte Derivate sollen Produktinformationen standardisiert und eine bessere Vergleichbarkeit erreicht werden. Laut Geschäftsführer Dragan Radanovic will die Börse noch im ersten Quartal 2022 mit „Euwax Prime“ an den Start gehen. Stuttgart hält mit dem Segment Euwax für verbriefte Derivate einen Marktanteil von 66% im börslichen Handel in Deutschland, der rund 30% des gesamten Geschäfts mit Hebel- und Anlagezertifikaten umfasst. Der große Rest findet außerbörslich statt.

Indessen plant Voelkel, neben dem Kapitalmarkt- und Börsengeschäft das Digital- und Kryptogeschäft zu einem zweiten, gleich starken Standbein auszubauen. Das Investitionsbudget insbesondere für den digitalen Bereich, das bisher immer mit einem mittleren zweistelligen Millionenbereich angegeben wurde, sei nach den Personalrochaden nicht zurückgefahren worden. „Im Gegenteil“, sagt Voelkel. 2021 sind allein im Digital- und Kryptogeschäft 75 Stellen aufgebaut worden – eine Entwicklung, die sich 2022 noch beschleunigen soll.

Den Kern der Digitalisierungsstrategie stellen die Börse Stuttgart Digital Exchange (BSDEX) für institutionelle und anspruchsvolle Retail-Anleger sowie die Smartphone-App Bison dar. Beide Zugänge ermöglichen den Handel von Kryptowährungen und verzeichnen starke Zuwächse. Voelkel erachtet hierbei die Endkundenstrategie der Börse zu Recht als wichtiges Asset. Allerdings wurde die Digitalisierungsstrategie der Börse weitgehend auf eine reine Kryptostrategie reduziert, wie ein Insider bestätigt. Die Tokenisierung liegt inzwischen auf Eis.

Auf diese Weise entwickelt Stuttgart eine gewisse Abhängigkeit vom Kryptomarkt, dem Voelkel aber ein enormes Wachstumspotenzial be­scheinigt. Gleichzeitig treffen die Schwaben auf starke Wettbewerber wie Trade Republic, Nuri oder Scalable, ebenso wie die in Deutschland expandierende US-Kryptobörse Coinbase. Damit wagt sich die Traditionsbörse Stuttgart an einen ausdifferenzierten Wettbewerb, der weit über die Konkurrenz zu den anderen klassischen Börsen hinausgeht.

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