Brüssel verschärft den Kampf gegen moderne Sklaverei
Brüssel verschärft Kampf gegen moderne Sklaverei
Der Forced Labour Act der EU verbannt in Zwangsarbeit hergestellte Produkte aus dem Binnenmarkt. Unternehmen müssen ihre Lieferketten dauerhaft überprüfen.
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
Die Europäische Union verschärft den Kampf gegen Zwangsarbeit. Die Unterhändler von EU-Kommission, Parlament und Rat haben sich jüngst auf den Forced Labour Act geeinigt. Die 2022 auf den Weg gebrachte Verordnung verbietet es, in Zwangsarbeit hergestellte Produkte auf den EU-Markt zu bringen.
Moderne Sklaverei hat nach Untersuchungen der International Labour Organization (ILO) in den vergangenen Jahren weltweit zugenommen. Die Opfer arbeiten auf Baustellen, als Hausangestellte, auf Feldern, in Fabriken, in Minen oder werden sexuell ausgebeutet. Die ILO definiert Zwangsarbeit als „jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat“.
Fast 30 Millionen Opfer
Laut ILO mussten 2021 weltweit 27,6 Millionen Menschen Zwangsarbeit verrichten; das waren 2,7 Millionen Personen mehr als 2016. Im Jahr 2021 entfielen laut ILO 6,3 Millionen Fälle von Zwangsarbeit auf den Bereich der kommerziellen sexuellen Ausbeutung, 17,3 Millionen Menschen waren in anderen Bereichen der Privatwirtschaft betroffen.
Mit Zwangsarbeit wird viel schmutziges Geld verdient. So hat sich der Gesamtbetrag der illegalen jährlichen Gewinne aus Zwangsarbeit laut ILO in den vergangenen zehn Jahren um 37% auf 236 Mrd. Dollar erhöht – diese Summe wird für 2024 geschätzt. Mehr als zwei Drittel des Betrags entfallen auf kommerzielle sexuelle Zwangsausbeutung, die 27% der Gesamtzahl der Opfer ausmachen. Es folgen die Industrie mit 35 Mrd. Dollar, der Dienstleistungssektor mit 21 Mrd. Dollar und Landwirtschaft mit 5 Mrd. sowie Hausarbeit mit 2,6 Mrd. Dollar.
Zweigleisige Regulierung
Im Kampf für Menschenrechte fährt die EU zweigleisig, denn auch das Lieferkettengesetz ahndet Menschenrechtsverletzungen. „Es sind unterschiedliche Regelungsinstrumente“, erklärt Lothar Harings, Partner der Wirtschaftskanzlei GvW Graf von Westphalen, das Vorgehen in Brüssel. Die EU-Verordnung zur Zwangsarbeit sehe ein Importverbot für kritische Produkte vor und sei somit schärfer gefasst als das deutsche Lieferkettengesetz und die europäische Lieferkettenregulierung in der Directive on Corporate Sustainability Due Diligence (CSDDD). „Der Forced Labour Act verhindert jegliches Inverkehrbringen oder Export – selbst wenn es sich nur um Vormaterialien oder Bauteile einer fertigen Ware handelt", erläutert Harings, der vom Hamburger Büro aus den neu geschaffenen Bereich „Green Trade“ der Kanzlei leitet.
Der Forced Labour Act der EU ziele vor allem auf China und die Provinz Xinjiang, wo Zwangsarbeit vermutet werde. Die USA sind mit noch schärferer Regulierung im Uyghur Forced Labor Prevention Act vorangegangen. „Die Zielrichtung der EU ist die gleiche. Die USA gehen indes schon lange gezielt gegen Zwangsarbeit vor. Das Thema ist somit nicht neu, die EU unternimmt aber zum ersten Mal konkrete regulatorische Schritte für ein Importverbot“, erklärt der Jurist.
„Scharfes Schwert“
Aus Sicht des Anwalts muss man die Verordnung für ein Importverbot von aus Zwangsarbeit hergestellten Produkten vom Lieferkettengesetz trennen, denn das Lieferkettengesetz und auch die CSDDD verhindern nicht, dass Produkte auf den Markt gebracht werden dürfen. Auch bei schwersten Verstößen gegen Sorgfaltspflichten nach dem Lieferkettengesetz würde das nicht den Marktzugang beeinträchtigen. Anders beim Forced Labour Act. Hier wird der Import gestoppt, sobald der Verdacht auf Zwangsarbeit hochkommt. „Das ist ein scharfes Schwert im Vergleich zum Lieferkettengesetz, wo Unternehmen ein Bußgeld angedroht wird. Der Druck auf die Unternehmen ist bei einem Importverbot viel höher, zumal zusätzlich Bußgelder nach anderen Vorschriften drohen“, erläutert Harings.
Die Verordnung gegen Zwangsarbeit gibt klare Zuständigkeiten vor. Zunächst sei die EU-Kommission gefordert, weitere Durchführungsakte und Guidelines mit Anwendungshinweisen zu erlassen sowie eine Datenbank aufzubauen, aus der ersichtlich wird, wo es kritische Länder gibt und wo erhöhte Sorgfaltspflichten gelten. Die Durchführung auf nationaler Ebene obliege dann beim Import den Zollbehörden, wie bei anderen Verboten und Beschränkungen im Handel auch. Die Zollbehörde entscheidet allerdings nicht eigenständig: „Es wird auf nationaler Ebene eine eigene Behörde bestimmt werden, die inhaltlich über Fragen der Anwendung der Verordnung, also das Vorliegen von Zwangsarbeit in der Lieferkette, entscheidet. Wir wissen heute noch nicht, welche Behörde das sein wird. Es spricht aus meiner Sicht vieles dafür, dass das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) diese Zuständigkeit übernimmt, denn es überwacht ja auch schon die Einhaltung des Lieferkettengesetzes. Es wäre nicht sinnvoll, Doppelzuständigkeiten zu schaffen. Das muss die Bundesregierung aber noch festlegen“, sagt der Anwalt.
Die zuständige Behörde, also etwa das BAFA, muss auf Hinweise aus der Zivilgesellschaft reagieren, zum Beispiel von NGOs. Zudem recherchiert die Behörde aus eigenen Quellen. „Wenn konkrete substanziierte Hinweise vorliegen, würde die Behörde den Zoll benachrichtigen und auffordern, bestimmte Produkte bei deren Eintreffen zu beschlagnahmen oder den Import vorläufig auszusetzen“, sagt Harings.
Beweislast nicht beim Unternehmen
Anders als in den USA sieht die EU-Verordnung von der Beweislastumkehr ab. Das Unternehmen selbst muss also nicht beweisen, dass seine Produkte frei von Zwangsarbeit sind. „Unternehmen sind aber gefordert, ähnlich wie beim Lieferkettengesetz ein Risikomanagement aufzubauen. Sie müssen darlegen können, warum sie davon ausgehen, dass Produkte frei von Zwangsarbeit sind“, mahnt Harings. Die Firmen müssten sich aber erst dazu auslassen, wenn Zweifel geäußert würden. „Die Unternehmen stehen in der Verantwortung, ihre Lieferkette zu kontrollieren, aber sie müssen nicht proaktiv darlegen, dass keine Zwangsarbeit vorliegt.“
Kann ein Unternehmen die Zweifel nicht ausräumen, komme es zur endgültigen Entscheidung der Behörde über ein Verbot des Inverkehrbringens. „Wenn das Unternehmen das Importverbot nicht akzeptiert, geht der Fall vor Gericht. Dort liegt die Beweislast dann aber bei der Behörde. Sie muss nachweisen, dass die in Frage stehenden Produkte ganz oder in Teilen in Zwangsarbeit hergestellt wurden“, ergänzt der Anwalt.
Für gemeinnützige Zwecke
Der zwischen Rat und EU-Parlament gefundene Kompromiss sieht vor, dass die Behörde ausnahmsweise auf die Anordnung der Beseitigung der Ware verzichten und stattdessen anordnen kann, dass ein Unternehmen das Produkt so lange zurückhält, bis es nachweisen kann, dass in der Lieferkette keine Zwangsarbeit mehr vorkommt. So sollen bei Gütern, die von strategischer Bedeutung für die Wirtschaft sind, Engpässe von Waren vermieden werden.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, was mit konfiszierten Produkten passiert. Sie können vernichtet werden. „Da das in vielen Fällen als unangebracht angesehen wird, ist in der Verordnung vorgesehen, dass verderbliche Produkte gegebenenfalls für gemeinnützige und wohltätige Zwecke zur Verfügung gestellt werden können.“
Doppelte Sanktionierung
Dass ein Unternehmen bei Verstößen gegen das Verbot von Zwangsarbeit sowohl nach dem Lieferkettengesetz als auch nach dem Forced Labour Act sanktioniert wird, ist nach Einschätzung von Harings denkbar. Es gebe aber unterschiedliche Anknüpfungspunkte: „Nach Lieferkettengesetz können Bußgelder bis zu 2% des weltweiten Jahresumsatzes verhängt werden, wenn ein Unternehmen Sorgfaltspflichten verletzt, also etwa trotz Hinweisen auf Zwangsarbeit keine Maßnahmen ergreift, insbesondere keine Präventions- und Abhilfemaßnahmen einleitet. Wird künftig eine solche unter Vorliegen von Zwangsarbeit hergestellte Ware importiert, kann sie zusätzlich Gegenstand einer Entscheidung nach dem Forced Labour Act sein und einer Vernichtungsanordnung unterliegen, die zwangsweise durchgesetzt werden kann. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit müssten das die Behörden aber in ihren Entscheidungen berücksichtigen.“
Eine zivilrechtliche Haftung sei im Forced Labour Act anders als in der EU-Lieferkettenrichtlinie nicht vorgesehen. Die Verordnung zur Zwangsarbeit ziele primär darauf ab, dass in Zwangsarbeit hergestellte Güter schlichtweg nicht auf den Markt kommen.
Vergleichbare Konsequenzen
Im Vergleich mit der US-Regulierung gegen Zwangsarbeit hebt Harings hervor, dass auch der EU-Vorstoß Schlagkraft hat. Denn genauso wie in der US-Regulierung infizierten auch kleine Komponenten eines Produkts, die im Verdacht der Zwangsarbeit stehen, das gesamte Produkt. Es gebe keine Wert- oder Wesentlichkeitsgrenzen. Somit seien die Konzerne mit ähnlichen Risiken konfrontiert wie in den USA, wo Berichten zufolge aktuell mehrere tausend Neuwagen von VW und Porsche in amerikanischen Häfen feststecken, weil ein Elektronikbauteil möglicherweise aus Zwangsarbeit in Westchina stammt.
Risikomanagement entscheidend
Der entscheidende Unterschied sei, dass in den USA die Herstellung in der Region Xinjiang den begründeten Verdacht auf Zwangsarbeit beinhalte und dies bereits für ein Importverbot ausreiche, während das Unternehmen den Beweis erbringen müsse, dass dies nicht der Fall ist. In der EU-Regulierung dagegen müssten die zuständigen Behörden dem Unternehmen Zwangsarbeit in der Lieferkette nachweisen. „Die Frage bleibt, wie es in der einen wie in der anderen Richtung möglich sein wird, rechtssicher Zwangsarbeit nachzuweisen. Das werden die Praxis und die Rechtsprechung der Gerichte zeigen“, meint Harings.
Die Industrie muss sich auf den neuen Rahmen einstellen. „Unternehmen sind gefordert, ein umfassendes Risikomanagement aufzubauen und ihre Lieferketten dauerhaft zu überprüfen. Wenn man zehn Jahre zurückblickt, kommen wir aus einer Welt, wo es vor allem um die Qualität von Produkten ging. Mit der neuen Gesetzgebung zu Sorgfaltspflichten hat ein Paradigmenwechsel eingesetzt. Nun will man auch wissen, wie ein Produkt und seine Teile hergestellt werden und welche Auswirkungen die Produktion auf Mensch und Umwelt hat“, so Harings.
Der Forced Labour Act muss noch final verabschiedet werden. Das Votum des EU-Parlaments steht noch aus. „Das gelingt vermutlich noch vor den Europawahlen“, meint Harings. Zuletzt habe der Justizausschuss des EU-Parlaments zugestimmt. „Deshalb ist keine Ablehnung zu erwarten, zumal das Parlament Treiber dieser Regulierung war. Der Entwurf ist in einigen Punkten entschärft und wirtschaftsfreundlicher ausgestaltet worden. Die Mitgliedstaaten haben mehr Befugnisse bekommen. Das sollte aber kein Dealbreaker sein. Materiell entspricht die Verordnung dem, was das Parlament beabsichtigte“, resümiert der Anwalt.
Weltweit waren 2021 nach Angaben der International Labour Organization an jedem beliebigen Tag 27,6 Millionen Menschen von Zwangsarbeit betroffen, darunter 3,3 Millionen Kinder. Die Zahl der Betroffenen hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Die EU will über Importverbote für kritische Produkte dagegen vorgehen.