„Bundeshauptstadt eines zivilisierten Landes“
Berlin kann mal wieder mit Geschichten aus der Abteilung Pleiten, Pech und Pannen aufwarten. Bundeswahlleiter Georg Thiel hat in dieser Woche dem Wahlprüfungsausschuss des Bundestags empfohlen, in sechs von zwölf Berliner Wahlbezirken die Bundestagswahl vom Herbst 2021 wiederholen zu lassen. Thiel sprach von „systematischem Versagen“ der Wahlorganisation, nicht von Einzelfällen. Dabei gehe es „doch um die B“, konstatierte der Bundeswahlleiter im Ausschuss. Diese Feststellung könnte man in Berlin auch für andere Fälle oft genug fassungslos treffen. Wahllokale waren zeitweise geschlossen, weil Stimmzettel fehlten. Wähler wurden abgewiesen. In einem Fall wählte ein Minderjähriger. In mehr als 250 Wahllokalen wurde bis nach 18.30 Uhr gewählt, als längst schon Hochrechnungen bekannt waren. Das letzte Wahllokal schloss um 21.31 Uhr. Solche Probleme hat es dem Bundeswahlleiter zufolge im Bundesgebiet noch nie gegeben – auch nicht in München, Hamburg oder Köln.
Diese Städte haben wohl auch nie so ambitioniert gewählt wie Berlin im Herbst 2021. Neben der Bundestagswahl wurden unter Coronabedingungen gleichzeitig auch die „Landtagswahl“ für das Abgeordnetenhaus von Berlin und die Kommunalwahl für die Bezirke abgehalten – und über den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ abgestimmt. Um dem ganzen die Krone aufzusetzen, liefen am Wahlsonntag 40000 internationale Läufer beim Berlin-Marathon quer durch die für den Verkehr gesperrte Stadt. Für die Wahlvorstände stellten sich schwergewichtige Probleme: In Berlin holen sie die Stimmzettel am Vortag der Wahl üblicherweise persönlich bei der Bezirkswahlleitung ab. Die vielfältigen Stimmzettel für die vier Abstimmungen führten zu 24 Kilogramm schweren Paketen, die nicht mehr zu transportieren waren. Die Wahlvorstände nahmen deshalb nur einen Teil mit. Nachlieferungen blieben am Wahlsonntag im Stau des Marathons stecken. Entscheiden wird der Bundestag über die Wahlwiederholung. Vor der Sommerpause wird dazu aber nichts entschieden.
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Sorgen macht auch schon wieder der BER. Dem Hauptstadtflughafen drohen rote Zahlen, nachdem die britische Fluggesellschaft Easyjet mit dem Winterflugplan die Berliner Basis erneut um ein Drittel kürzen und 18 Flugzeuge abziehen will. BER-Chefin Aletta von Massenbach erwartet 2,3 Millionen Passagiere weniger und einen Umsatzverlust von 30 Mill. Euro, berichtet der Tagesspiegel unter Berufung auf eine Mail Massenbachs an das Kontrollgremium des BER. Dabei baut der Flughafen gerade ein neues Wartungszentrum für Easyjet. Leise Hoffnung schöpfen können indessen Reisende der Zukunft. Aus dem Geldsegen der jüngsten Steuerschätzung hat die Hauptstadt unter anderem 15 Mill. Euro für Planungskosten zum Ausbau der U-Bahnen 3 und 7 bis zum BER genehmigt. Wer weiß, wie lang es von der Planung bis zur Realisierung dauert, der weiß auch, dass hier noch viel Geduld gefragt ist.