LeitartikelInsolvenzen

Chapter 11 als Belohnung für schlechtes Management

Das Chapter-11-Verfahren mag zahlreichen Unternehmen zur Auferstehung verholfen haben. Doch seine notorische Ungerechtigkeit ist nicht wegzuleugnen.

Chapter 11 als Belohnung für schlechtes Management

Chapter 11

Die Freuden der Insolvenz

Von Alex Wehnert

Das Chapter-11-Verfahren mag zahlreichen Unternehmen zur Auferstehung verholfen haben. Doch seine notorische Ungerechtigkeit ist nicht wegzuleugnen.

Amerikas jüngste prominente Unternehmenspleiten zeigen auf, welche Vorteile der Unternehmensstandort USA mit dem Chapter-11-Verfahren besitzt – doch auch, welch brutale Ungerechtigkeiten es erzeugt. Denn eine Flucht in den Gläubigerschutz nach den Auflagen des komplexesten Kapitels im US-Insolvenzrecht mag schon Konzernen wie General Motors, dem später von Chevron übernommenen Ölriesen Texaco und zahlreichen Fluggesellschaften zu einem Neustart verholfen haben und soll dies im Fall von Spirit Airlines nun wieder tun. Doch ist das Chapter-11-Verfahren zur beliebten Allzweckwaffe für Manager geworden, um sich von Jahren der schlechten Strategieentwicklung reinzuwaschen. Diese droht in einer Phase umso populärer zu werden, in der die Federal Reserve die Zinsen senkt, die Risikofreude von Kreditgebern ankurbelt und damit die Verfügbarkeit sogenannter Debtor-in-Possession-Finanzierungen erhöht.

Bauchschmerzen für Aktionäre

Aktionäre können dies nur mit großen Bauchschmerzen beobachten. Denn sie müssen zusehen, wie sich ihr Investment in Luft auflöst, während die Manager, die ihnen den Totalverlust eingebrockt haben, in vielen Fällen fröhlich weiterwirtschaften dürfen. So steht es auch bei Spirit Airlines zu erwarten – obwohl in diesem Fall zur Wahrheit gehört, dass die kopflose US-Kartellregulierung die Krise des Unternehmens befeuert hat. So blockierte das Justizministerium, das keine Probleme mit Großfusionen in der Ölindustrie sieht, einen Merger zwischen Spirit und der Rivalin Jet Blue mit Verweis auf wettbewerbsschädliche Folgen – ungeachtet der Tatsache, dass das kombinierte Unternehmen den größten US-Carriern bei den Marktanteilen noch weit hinterhergehinkt wäre.

Und doch: Spirit will die Insolvenz schon im ersten Quartal 2025 verlassen. Dann dürfte zwar die Schuldenlast restrukturiert sein, die Wettbewerbssituation dürfte sich aber mitnichten verändert haben. Aktionären, die teuer für eine mangelnde Fähigkeit des Managements bezahlt haben, auf ein schwieriges Post-Pandemie-Umfeld zu reagieren, muss der optimistische Ausblick auf das Chapter-11-Verfahren wie Hohn vorkommen.

Machtgefälle verstärkt sich

Dabei bedeutet Chapter 11 für Unternehmen mitnichten einen Freifahrtschein. Das Verfahren kann sich lange hinziehen und beinhaltet strenge Auflagen zur Buchführung sowie zur Herstellung eines profitablen Geschäftsmodells. Darin lauert indes die nächste Ungerechtigkeit in der Struktur des Gläubigerschutzes: Für große Konzerne sind die resultierenden Rechts- und Beratungskosten weitaus leichter stemmbar als für kleinere Unternehmen. Denn diesen stehen in geringerem Rahmen frische Finanzierungen zur Verfügung, oft bleibt ihnen daher nur eine Liquidation nach dem ungeliebten Chapter-7-Verfahren übrig. Im Gründerland USA verstärkt dies das Machtgefälle in bereits stark konzentrierten Branchen noch.

Dass Manager auch bekannterer Marken indes durchaus Gefahr laufen, die Komplexität von Chapter-11-Insolvenzen zu unterschätzen, zeigt das Beispiel von Hertz. Deren Restrukturierung im Jahr 2020 galt als seltener Erfolg für Aktionäre, die beim Austritt des Autovermieters aus der Insolvenz 1,1 Mrd. Dollar zurückerhielten. Doch ein US-Berufungsgericht urteilte im September, dass dies zulasten von Anleihegläubigern geschah, denen Hertz rund 270 Mill. Dollar als Entschädigung für entgangene Zinseinnahmen schulde.

Strategische Fehler nach dem Neustart

Für den Mietwagenanbieter hätte das Urteil zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen können. Denn nach dem Insolvenzverfahren häuften sich erneut die strategischen Fehler: Private-Equity-Geldgeber ließen das Unternehmen Zehntausende Teslas kaufen, obwohl Amerikaner die E-Mobilität mit großer Skepsis betrachten – die Nachfrage schwächelt, während die Instandhaltungskosten der Flotte durch die Decke schießen. Hertz sitzt nun wieder auf kurzfristigen Verbindlichkeiten von nahezu 5 Mrd. Dollar. Während der Autovermieter sich mit Gläubigern noch um das jüngste Insolvenzverfahren rauft, ist die nächste Flucht in den Gläubigerschutz also fast absehbar. Das Rechtskapitel Chapter 11, so große Freuden es für Unternehmer bereithält, wird für Aktieninvestoren daher gerade im aktuellen Marktumfeld zum nicht zu unterschätzenden Risikofaktor.

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