Schanghai

Chinas berauschend rationale Konsumschlacht

China hat sein großes jährliches Shopping-Festival unter einem Corona-Nulltoleranz-Regime absolviert. Es scheint super gelaufen zu sein, wenn man ein bisschen um die Ecke denkt.

Chinas berauschend rationale Konsumschlacht

Aus Sicht von Chinas Wirtschaftsplanern ist es schon ein rechtes Kreuz mit dem wankelmütigen heimischen Verbraucher. Er scheint nicht immer begreifen zu wollen, wann er dem Vaterland mit großzügigen Shopping-Exzessen beiseitezustehen hat. Kaum bittet man ein paar hundert Millionen Menschen zum Schutz ihrer eigenen Gesundheit in unregelmäßigen Abständen für einige Tage, Wochen oder Monate zum Lockdown im trauten Eigenheim oder spendet einen Gratisaufenthalt mit Vollpension in einem brandneuen Quarantänelager, schon beginnen sie bockig zu werden und den Konsumausgabendienst zu verweigern.

Warum nur rennt niemand nach Aufhebung der Vollsperrung seines Apartmentblocks oder der Entlassung aus seiner 6-Quadratmeter-Quarantänezelle sofort in die nächste Shopping-Mall, um sich nach einer neuen Sofagarnitur, einer Waschmaschine oder nach heißer Wintersportmode umzusehen? Warum frisst man sich nicht für eine Woche durch alle Gourmettempel und ersäuft seinen Corona-Protokoll-Kummer mit erlesenen Spirituosen? Warum bucht man keine Wellness-Aufenthalte in Fünfsternehotels und lädt die Großfamilie mitsamt ihrer Kinderschar für eine Sause nach Shanghai Disneyland ein?

Kein Chinese scheint das als „Revenge Spending“ bezeichnete Konzept der aufgestauten Nachfrage und Bedürfnisbefriedigung richtig verstanden zu haben und damit die Prophezeiungen der Regierungsexperten und Staatsmedien zu erfüllen. Die besagen, dass die von der umsichtigen Corona-Nulltoleranz-Politik verursachten Konjunkturdämpfer blitzschnell wieder aufgeholt werden, weil sich der bestens geschützte Verbraucher dank seines gestärkten Vertrauens in die Zukunft des Landes mit voller Inbrunst ins Einzelhandelsgetümmel stürzt.

Seit der Lockdown in Schanghai vor sechs Monaten aufgehoben wurde, heißt es unablässig, dass die fulminante Konsumwelle naht, die alle Konjunktursorgen fortspült. Die jüngste fröhliche „Tsunami-Ankündigung“ galt logischerweise Chinas berühmtem Shopping-Festival zum sogenannten Singles’ Day am 11.11. eines Jahres. Die einst vom Onlinehändler Alibaba ersonnene Rabattschlacht ist längst für die gesamte Retailbranche ein absoluter Saisonhöhepunkt, gegenüber dem sich der „Black Friday“ in USA und anderswo geradezu kümmerlich ausnimmt.

Nie war also die Gelegenheit zum „Revenge Spending“ größer. Der 11.11.2022 hätte in die Annalen der Geschichte des blinden Konsums mit chinesischen Charakteristika eingehen können. Anscheinend aber haben Chinas Verbraucher sehenden Auges auf die Rache für entgangene Freuden verzichtet und nur das Nötigste zu Discountpreisen eingekauft. Alibaba, die den Singles’ Day früher mit einer international besetzten Stargala und auf Riesenbildschirme projizierten laufenden Er­folgsmeldungen feierte, nennt erstmals keine Zahlen zum Bruttowarenumsatz und spricht von einer „Performance im Rahmen des Vorjahres“. Klingt ganz nach einem eher nüchternen Konsumrausch.

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Da Chinas Wirtschaftspresse nicht dazu da ist, über Probleme zu berichten, sondern mit fachmännischem Optimismus in die Zukunft zu blicken, gibt es dennoch jede Menge zu feiern. Hier einige Beispiele: Endlich legt Chinas Konsumsektor die halsbrecherischen Wachstumsraten ab! Wir befinden uns im Upgrade zum Konsum mit neuen chinesischen Charakteristika, bei dem es hauptsächlich um Qualität geht! Wir erleben eine goldene Periode, bei der in- und ausländische Markenanbieter gewinnbringend auf einen neuen Shopping-Trend aufspringen werden!

Bleibt noch die Frage, mit welchen Waren und Gadgets sich die rationale Kundschaft beim diesjährigen Festival besonders gern verwöhnt hat. Ganz vorne lagen die „Facial Spa“ als Wellness-Gesichtsdusche-Pflegeset für zu Hause, Teppichreinigungsmittel, Tierspielzeuge, ein Unterwäschereinigungsgerät für Apartments ohne Waschmaschine und augenfreundliche Homeoffice-Beleuchtungsartikel. Das klingt schon einmal sehr vernünftig. Der nächste Lockdown ohne nachgelagertes Revenge Spending kann kommen.

                                            (Börsen-Zeitung,

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