LEITARTIKEL

Chinesisches Roulette

Dieser Tage geht Chinas erste Eisenerzmine in Australien in Betrieb. Das Ziel der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, sich für dringend benötigte Rohstoffe nicht länger die Preise von multinationalen Konzernen wie BHP Billiton, ExxonMobil und Rio...

Chinesisches Roulette

Dieser Tage geht Chinas erste Eisenerzmine in Australien in Betrieb. Das Ziel der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, sich für dringend benötigte Rohstoffe nicht länger die Preise von multinationalen Konzernen wie BHP Billiton, ExxonMobil und Rio Tinto diktieren zu lassen, klingt vernünftig und sympathisch. Dass Peking die Lager prall gefüllt und weltweit Milliarden in die Erschließung neuer Vorkommen investiert hat, ist aber ein gefährliches Roulettespiel mit dem in der Volksrepublik hart erarbeiteten Geld, das den konjunkturellen Abwärtstrend verstärkt.Ursprünglich hatte die chinesische Citic Pacific Mining für das Projekt Sino Iron im westaustralischen Pilbara lediglich 2,5 Mrd. Dollar budgetiert. Mittlerweile haben sich die Kosten des Erschließungsvorhabens, an dem auch der chinesische Baukonzern MCC beteiligt ist, mehr als verdreifacht. Eigentlich sollte das größte Investment aus dem Reich der Mitte in den Bergbau auf dem fünften Kontinent längst in Betrieb sein. Seit mindestens zwei Jahren hätte die Mine Erz liefern sollen. Nun wird befürchtet, dass das Projekt am Ende noch mehr kosten wird. Die künftigen Lieferungen werden durch nach dem Baubeginn eingeführte Steuern und Abgaben verteuert. Aber egal, denn solange sich das nationale Interesse ins Feld führen lässt, haben vom Staat geförderte Unternehmen in der Volksrepublik nahezu unbegrenzten Zugang zu billigem Geld. Eine Rechenschaftspflicht im Sinne von Good Governance gibt es nicht.Auch das Bunkern von Rohstoffen, um sich gegen die Volatilität der Preise an den Warenterminbörsen abzusichern, wirkt zunächst wie ein Beweis ostasiatischer Weisheit. Das Problem dabei ist die Beziehung zwischen Wirtschaftswachstum und Entwicklung der Rohstoffpreise, wie Michael Pettis, Professor an der Guanghua School of Management der Peking-Universität, herausstreicht. Der rasante Zuwachs der chinesischen Nachfrage war der wichtigste Grund für den Anstieg der Notierungen an den Warenterminbörsen weltweit in den vergangenen zehn Jahren. Und die Nachfrage zog wegen der großen Investitionen der öffentlichen Hand an, insbesondere in Infrastrukturprojekte. Das kommunistisch regierte Land erwirtschaftet zwar nur ein Zehntel des weltweiten Bruttoinlandsprodukts, steht aber für zwei Fünftel der weltweiten Kupfernachfrage. Bei dem für die Stahlerzeugung wichtigen Eisenerz sind es sogar drei Fünftel. 57 % des rund um den Erdball erzeugten Zements werden im Reich der Mitte hergestellt.Peking ist eine riskante Wette eingegangen. Sie geht auf, wenn sich Rohstoffe in Erwartung weiteren Wachstums in China verteuern. Die Einlagerung großer Mengen hätte sich gelohnt. Wenn sich das Wachstum der Volkswirtschaft verlangsamt, wie es sich derzeit abzeichnet, gehen aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Rohstoffpreise zurück. Das Land hätte für vermeintliche Versorgungssicherheit einen viel zu hohen Preis bezahlt. Die Fehlallokation öffentlicher Mittel würde das Wachstum zusätzlich dämpfen. Professor Pettis fürchtet, dass China zum Rohstoffexporteur werden könnte, wenn das Land seine Infrastrukturinvestitionen zurückfährt. Das würde wiederum die Rohstoffpreise belasten. Sich gegenseitig verstärkende Beziehungen dieser Art können unerwartet starke Ausschläge zur Folge haben – nach oben wie nach unten.Das gilt auch für den Immobilienmarkt, einen der großen Wachstumstreiber neben den staatlichen Infrastrukturinvestitionen. Wenn die Hauspreise steigen, sind auch Hypothekenkredite mehr wert. Wenn es dagegen abwärtsgeht, wachsen auch die Zweifel an der Zahlungsfähigkeit bzw. -willigkeit der Schuldner. In China wurde und wird immer noch darauf gewettet, dass die fortschreitende Verstädterung schon für ausreichende Nachfrage sorgen und die Preise zumindest stabil halten wird. Deshalb sorgten Meldungen über sinkende Wohnungspreise in einigen Großstädten für Aufsehen. Aber die Geschwindigkeit der Urbanisierung hängt am Wachstum. Wenn es nachlässt, zieht es auch weniger Menschen in die Ballungszentren.In Spanien war man sich sicher, dass es immer genug sonnenhungrige Nordeuropäer geben wird, um die gebauten Wohnungen auch loszuschlagen. Wieso sollten die Preise also sinken? Noch sind die leer stehenden Apartments nicht wertberichtigt, aber wenn es um die iberische Halbinsel geht, würde mittlerweile jeder zustimmen: Ein Bauboom ist prozyklisch. Aber das gilt im südchinesischen Hainan genauso wie an der Costa del Sol. Was China angeht, rollt die Roulettekugel noch. ——–Von Andreas Hippin ——- Peking hat die Rohstofflager prall gefüllt und Milliarden in Minenunternehmen gesteckt. Eine riskante Wette, die den konjunkturellen Abwärtstrend verstärkt.