Kapitalmarktunion

Das Chamäleon

Die Kapitalmarktunion kommt nicht recht vom Fleck. Das neue EU-Gesetzespaket enthält nun zwar richtige Ansätze, ignoriert aber erneut die wahren Probleme.

Das Chamäleon

Die Europäische Kapitalmarktunion ist schon ein Phänomen: Seit sie 2015 von der damaligen EU-Kommission ins Leben gerufen wurde, wurde sie ständig neu mit Bedeutung aufgeladen und erhielt immer neue Narrative. Ursprünglich sollte die Union einfach die Finanzierungsoptionen für Unternehmen verbreitern und Anlegern das langfristige sichere Investieren erleichtern. 2019 sollte das Projekt abgeschlossen sein. Ein Jahr später kam die Brexit-Entscheidung, und die Kapitalmarktunion hatte auf einmal die große Aufgabe, die Abhängigkeit vom Finanzplatz London abzufedern. 2018 wurde den Kapitalmärkten dann zusätzlich die Aufgabe übertragen, für eine nachhaltige Finanzierung zu sorgen. Innerhalb kürzester Zeit wurde Green/Sustainable Finance selbst zu einem Megathema, das dem Schoß der Kapitalmarktunion längst entwachsen ist. Seit 2020 soll die Kapitalmarktfinanzierung aber auch noch einen unverzichtbaren Beitrag dazu leisten, dass Europa aus der Coronakrise herauskommt. Und spätestens seit diesem Jahr ist auch klar: Die Milliarden und Abermilliarden an privaten Investitionen, die für die grüne und digitale Transformation der Wirtschaft nötig sind, sollten bestenfalls auch über die europäischen Kapitalmärkte generiert werden.

Die Kapitalmarktunion ist wie ein Chamäleon, das sich immer neu an die wechselnde Umgebung anpasst (beziehungsweise angepasst wird). Das Problem ist nur: So sehr die EU-Kommission sich in den vergangenen sechs Jahren auch bemüht hat, einen europaweiten, einheitlichen Kapitalmarkt aufzubauen und das Chamäleon mit immer neuen Aktionsplänen zu füttern, so wenig ist passiert. Das Tier bewegt sich einfach nicht. Aktuelle Zahlen zeigen, dass etwa der dominierende Anteil der Bankkredite an den Unternehmensfinanzierungen – speziell bei kleinen und mittelgroßen Betrieben – nicht signifikant abgenommen hat, obwohl der Zu­gang zu den Kapitalmärkten durch die Gesetzgeber an vielen Stellen erleichtert wurde. Oder das todtraurige Kapitel der grenzüberschreitenden Finanzierungen und Investitionen: Dass es innerhalb der EU oder auch innerhalb der Eurozone im Jahr 2021 noch immer so viele Hürden gibt, ist eigentlich kaum zu glauben. Dabei sind die größten Bremsen wie die fehlende Harmonisierung der Insolvenz- und Steuerregime sowie der Aufsichtsregeln ja längst bekannt. Nein, dass die EU-Kapitalmarktunion zu einem Game Changer geworden ist, wie in den vergangenen Jahren vielfach beschworen, kann nun wirklich niemand behaupten.

Aber vielleicht gelingt es der Europäischen Kommission mit ihrem nun vorgelegten neuen Gesetzespaket ja, dem Chamäleon wieder etwas Farbe auf die Haut zu zaubern. Die wirklich kniffligen Themen werden zwar auch hier wieder ausgespart, aber die Verbesserung der Transparenz für Investoren sowie die sinnvollen Nachjustierungen in der Fondsregulierung sind auf jeden Fall Schritte in die richtige Richtung. Die neuen Vorschläge scheinen ausgewogen, zielgerichtet und mit Augenmaß gestrickt. Selbst aus den unterschiedlichen Verbänden der Finanzbranche kommt allenfalls verhaltenes Murren. Viele Manager haben offenbar Schlimmeres erwartet. Und das ist dann ja auch schon fast so etwas wie ein Lob für das Brüsseler Paket.

Dieses bringt Investoren nun einen besseren Zugang zu den Handelsdaten der europäischen Börsen. Dass dieses Consolidated Tape ursprünglich bereits mit Mifid II eingeführt werden sollte? Geschenkt. Das ändert nichts an seiner Wirksamkeit. Das Paket bringt auch eine neue Datenplattform für Unternehmen, wo viele von ihnen sichtbarer und für Anleger besser vergleichbar werden. Die Nachbesserungen in der Verordnung über europäische langfristige Investmentfonds könnten dazu führen, dass die sogenannten Eltifs doch noch für Privatanleger eine interessante Option werden. Und die Verschärfungen im Rahmenwerk für alternative Investmentfonds zielen im Wesentlichen ja auf britische Fonds, die heute oft nur über Briefkastenfirmen in der EU aktiv sind. Der wohl kritischste Punkt in dem Gesetzespaket ist das geplante Verbot des Payment-for-Orderflow-Geschäftsmodells von Neobrokern. Die Kommission konnte bislang nicht wirklich den Gegenbeweis zu der Vermutung antreten, dass damit Kleinanlegern eher geschadet wird.

Wichtig ist jetzt, dass das Chamäleon schnell weiter gefüttert wird. Und immerhin will Brüssel 2022 endlich noch einmal eine Harmonisierung von Teilen des Insolvenzrechts in Europa angehen. Bei Gelingen würde dies sicherlich sowohl der europäischen Kapitalmarkt- als auch der Bankenunion noch einmal einen Push geben.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.