Das Pferd wird geteilt
Continental
Das Pferd wird geteilt
Continental will den Automotive-Bereich abspalten. Eine radikale Kehrtwende, die für neue Fantasie sorgt.
Von Carsten Steevens
Continental stellt bis Ende 2025 die Abspaltung und Börseneinführung des seit Jahren kriselnden Autozuliefergeschäfts in Aussicht. Es kündigt sich mehr an als eine weitere Zäsur in der Geschichte des Dax-Unternehmens mit dem springenden Pferd als Markenzeichen. Die Abkehr von dem 1995 mit dem Aufbau der Division Automotive Systems eingeschlagenen Weg, das Systemgeschäft mit der Autoindustrie zu intensivieren, würde Continental gemessen an Umsatz und Beschäftigtenzahl nicht nur halbieren. Es wäre eine radikale Kehrtwende.
Als einziger globaler Reifenhersteller hatte sich Continental vor knapp drei Jahrzehnten − wenige Jahre nach unfreundlichen Übernahmeavancen des Konkurrenten Pirelli und mitten in einer Restrukturierungsphase − für „Beyond Rubber“ entschieden. Die Pläne sahen vor, sich als integrierter Technologiekonzern auf die Mobilität der Zukunft auszurichten. Wachstums- und Ertragsfantasien verknüpfte das Management vor allem mit dem später durch Übernahmen zum größten Unternehmensbereich aufgebauten Autozuliefergeschäft.
Verflossene Liebe
Durch den Erwerb von Siemens VDO rückte Continental 2007 unter die fünf größten Zulieferer auf. Mit dem Automotive-Bereich, der bei zweistelligen Umsatzrenditen stärker als Autohersteller zulegte, avancierte der Konzern in den Jahren nach der Finanzkrise zu einem Anlegerliebling. Eine zunehmende Margenerosion ließ Investorenforderungen eines großen organisatorischen Umbaus jedoch lauter werden. Spekulationen in diese Richtung trieben den Aktienkurs von Continental Anfang 2018 auf das Allzeithoch von rund 257 Euro.
Von der damaligen Marktkapitalisierung von über 51 Mrd. Euro ist gut ein Fünftel übrig geblieben. Mehrere Faktoren wie gesunkene Produktions- und Absatzzahlen der in einem säkularen Wandel steckenden Autoindustrie sowie eigene Versäumnisse bei der Integration zugekaufter Unternehmen haben Continental in die Krise geführt. Der forschungsintensive Automotive-Bereich mit seinen hohen Investitionsanforderungen hat mehrere Verlustjahre hinter sich. Die nun im Raum stehende Konzernaufspaltung verdeutlicht, dass bisherige Maßnahmen zur Steigerung von Produktivität und Effizienz, verbunden mit Anpassungen der Organisationsstrukturen, unzureichend waren.
Gescheiterter Ansatz
Der „Beyond Rubber“-Ansatz hat für Continental nicht funktioniert. Mit der Ankündigung, Automotive möglicherweise abzuspalten, verbinden sich indes Fragen. Warum erst jetzt? Der Verweis auf ein disruptives Umfeld, das es erfordere, schneller und flexibler agieren zu können, passte auch schon vor drei Jahren, als nur die Antriebssparte Vitesco verselbstständigt wurde. Und noch im vorigen Dezember bekräftigte Continental bei einem Kapitalmarkkttag die Konzernstruktur und stellte neben Mittelfristzielen für die drei Unternehmensbereiche Maßnahmen zur Verschlankung und Effizienzsteigerung von Automotive vor.
Die jüngsten Quartalszahlen deuten einen Aufwärtstrend für das Zuliefergeschäft an. Der Vorstand wird bei einer Aufspaltung von Continental bis Ende 2025 aber nicht mehr zeigen können, dass der Turnaround von Automotive unter dem Konzerndach funktioniert. Stattdessen sollen nun Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sich der seit 2009 amtierende Aufsichtsratsvorsitzende mit Ablauf seines noch einmal um zwei Jahre verlängerten Mandats im Frühjahr 2026 mit einer Steigerung des Börsenwerts verabschieden kann.
Neue Fantasie
Wesentlich für die Aufspaltung wird eine Finanzausstattung sein, die einerseits die Wurzelbereiche von Continental befähigt, in Innovation und Nachhaltigkeit zu investieren, und die andererseits Automotive eine echte Chance für einen Alleingang gibt. Gerade im Zukunftsmarkt softwaredefinierter und autonomer Fahrzeuge klafften die erwartete nahe Zukunft und die tatsächliche Entwicklung der neuen Mobilität in den vergangenen Jahren auseinander. Dass Vitesco eine Blaupause sein könnte und auch Automotive zumindest in Teilen eines Tages beim fränkischen Zulieferer des Continental-Großaktionärs Schaeffler landen könnte: Für neue Fantasie hat die Ankündigung aus Hannover gesorgt.