Das Zeitalter der Wüstenspringmäuse
Von Anna Sleegers, Frankfurt
Frauen, so befand der damalige Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann einmal, machten den Vorstand und andere Führungsgremien farbiger und schöner auch. Spätestens seit damals gehört es für Vorstände, IR-Verantwortliche und andere, zumeist männliche Öffentlichkeitsarbeiter zum guten Ton, im Gespräch mit weiblichen Medienvertretern mit leisem Nachdruck auf spezielle Diversity-Programme hinzuweisen, bisweilen sogar auf jede einzelne Beförderung weiblicher Führungskräfte.
Geschult, um nicht zu sagen zermürbt von der Dauerberieselung ethisch eingefärbten Marketingsprechs drängt sich manchmal die Frage auf, worauf die Annahme beruht, dass dieses Thema für die weibliche Teilöffentlichkeit relevanter sein sollte als für den Rest der Welt. Schließlich bedarf es keines Soziologiestudiums, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass die über Jahrzehnte eingeübte Praxis „Pinguine stellen Pinguine ein“ für die Unternehmen ein erhebliches Downside-Potenzial birgt.
Denn so gut Pinguine darin sind, ihre Eier unter widrigsten Wetterbedingungen auszubrüten oder pfeilschnell Fische zu jagen, dürften sie im Überlebenskampf in der Wüste wie auch beim Überqueren von stark befahrenen New Yorker Straßenkreuzungen bestenfalls mittelprächtig abschneiden. In einer globalisierten und zunehmend komplexen Welt tun Unternehmen daher gut daran, ihre Führungsteams so vielfältig wie möglich zu besetzen.
Gleichwohl fällt es vielen Unternehmen offenbar noch immer schwer, Angehörigen ethnischer Minderheiten, Frauen, Menschen mit sichtbaren Behinderungen oder auch Personen, die offen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben, eine signifikante Präsenz in ihren Führungsgremien einzuräumen.
Mangel an Bewerbungen
Das gilt keineswegs nur für die als konservativ verschrienen deutschen Mittelständler. Auch in global tätigen Konzernen, die seit Jahren strukturierte Programme zur Förderung der Vielfalt fahren, klagen HR-Verantwortliche hinter vorgehaltener Hand über einen Mangel an Bewerbungen von führungswilligen und entsprechend qualifizierten Angehörigen der als förderungswürdig befundenen Minderheiten.
In den USA, wo das Thema Diversität aufgrund der größeren und dank starker Bürgerrechtsbewegungen auch selbstbewussteren Communities schon länger und intensiver diskutiert wird als hierzulande, sieht es nur wenig besser aus. Laut einer Erhebung des Finanzdienstleistungsausschusses im US-Repräsentantenhaus waren 2018 mehr als 80% der Führungskräfte in US-Banken weiße Amerikaner (siehe Grafik). Daran mag sich in den vergangenen drei Jahren ein bisschen was geändert haben, doch bis ein struktureller Wandel messbar ist, dürften noch viel Zeit ins Land gehen.
Auch im Vorstand der Deutschen Bank weichen gut ein Jahrzehnt nach der – nach Altherrenwitz müffelnden – Bemerkung Ackermanns lediglich zwei von zehn Mitgliedern des Gremiums von dem durch weiße Männer geprägten Standard ab – Chief Transformation Officer Rebecca Short und die Leiterin des US-Geschäfts, Christiana Riley. Erwähnt sei an dieser Stelle, dass Letztere es sich auf die Fahne geschrieben hat, mehr Führungskräfte aus der afroamerikanischen Community zu rekrutieren.
Doch die Zeiten, in denen vage gehaltene Absichtserklärungen und der Beitritt zu Initiativen wie der Charta der Vielfalt ausreichten, um in der Diversitätsdebatte zu bestehen, dürften sich dem Ende zuneigen. Wie auch bei anderen Themen, die in den vergangenen Jahren die von Nichtregierungsorganisationen geprägten alternativen Nischen der Gesellschaft verlassen und den Mainstream erreicht haben, wird es ernst.
Angesichts der überbordenden Nachfrage nach Anlagen, die einer ethischen Überprüfung standhalten, übernehmen die harten Kennziffern die Aufgabe, den kulturellen Wandel in Banken und Unternehmen voranzutreiben. Jüngstes Beispiel dafür ist der Assetmanagement-Arm der US-Bank Goldman Sachs, der im Rahmen seiner erweiterten Leitlinien zur Stimmrechtsvertretung den börsennotierten Unternehmen, in die er investiert, mit Blick auf den Anteil von Frauen und Minderheiten in den Vorständen klare Vorgaben macht.
So erwartet der Assetmanager zumindest von Unternehmen, die im S&P500 und FTSE100 vertreten sind, dass sie vom kommenden Frühjahr an mindestens ein Board-Mitglied aus einer unterrepräsentierten Gruppe einer ethnischen Minderheit aufweisen können. Gewiss wird es den Impuls geben, männliche Manager aus Island, Belgien oder Liechtenstein mitzuzählen, obwohl diese eher selten zum Diskriminierungsobjekt gemacht werden. Doch das ist sekundär. Wichtig ist, dass die Frage nach ethnischen Minderheiten und Frauen im Top-Management künftig nicht mehr bloß auf Seite 26 des Nachhaltigkeitsberichts abgehandelt wird, sondern avanciert zum Inhalt von Investorengesprächen und Treiber für das Abstimmungsverhalten auf Hauptversammlungen. Das wird zuerst die Wahrnehmung verändern und früher oder später auch die Realität.
Angesichts des Fachkräftemangels wird es daher Zeit, sich auch in kleineren Unternehmen Gedanken über eine Diversitätsstrategie machen. Und die Wüstenspringmäuse dieser Welt sollten anfangen, sich die Frage zu stellen, ob sie sich für einen Platz am Pinguin-Tisch eignen.