London

Der Charme der Aussichtslosigkeit

Die Londoner Bürgermeisterwahl bietet allerlei kuriose Kandidaten. Der Ausgang der Wahl scheint allerdings klar.

Der Charme der Aussichtslosigkeit

Brian Rose hat ein gesundes Selbstbewusstsein. „Ihr nächster Bürgermeister von London“, steht auf überlebensgroßen Werbetafeln, als hätten die für den 6. Mai angesetzten Kommunalwahlen bereits stattgefunden. Sie zeigen den ergrauten Podcaster, über dessen Karriere als Banker in New York und London man nicht viel weiß, im charakteristischen Nadelstreifenanzug mit entschlossen nach vorn gerichtetem Blick. Geld für den Wahlkampf scheint der Mann hinter dem Youtube-Channel „London Real“ genug zu haben. Sein imposanter Tourbus erinnert ein wenig an das Gefährt, mit dem der einstige Londoner Bürgermeister Boris Johnson für den Brexit trommelte. Auch seine Wahlversprechen gehen ins Geld: kostenloser Hochgeschwindigkeitszugang ins Internet für alle, ein aggressives Wohnungsbauprogramm auf Flächen, die der Nahverkehrsbetreiber Transport for London brachliegen lässt. Bei der Bürgermeisterwahl gehört er allerdings nur zu den Randerscheinungen. Seine Vorliebe für Corona-Verschwörungstheorien trägt dazu bei. Der Buchautor David Icke, der behauptet, es gebe eine Verbindung zum 5G-Netzausbau, wurde gleich mehrfach von ihm für seine Online-Plattform interviewt.

Covid-19 ist ein großes Wahlkampfthema: Der Bruder des ehemaligen Labour-Führers Jeremy Corbyn macht mit „Let London Live“ gegen die Ausgangsbeschränkungen Stimmung. Piers Corbyn, der sich regelmäßig bei Anti-Lockdown-Protesten festnehmen lässt, will alle Restriktionen aufheben. Zudem möchte er die geplante Ausweitung der Niedrigemissionszone im Stadtzentrum stoppen. Auch der ehemalige Schauspieler Laurence Fox macht mit seiner Reclaim Party gegen die Restriktionen Front, befindet sich aber – wie Peter Gammon von Ukip und David Kurten von der Heritage Party – am rechten Ende des politischen Spektrums.

Insgesamt treten 20 Kandidaten an, so viele wie noch nie in der jüngeren Geschichte. Nachdem die Konservativen offenbar beschlossen haben, sich im Kampf um die Labour-Hochburg nicht unnötig zu verausgaben, dürfte es Amtsinhaber Sadiq Khan (Labour) problemlos gelingen, den Tory-Kandidaten Shaun Bailey auszustechen, der in einem Sozialwohnungsblock in Ladbroke Grove aufgewachsen ist. Dabei hat Bailey interessante Ideen. Er will Firmen zu regelmäßigen Drogentests ihrer Mitarbeiter verpflichten, um die Bandenkriege um Marktanteile im Kokainhandel zu beenden, die in London alljährlich zahlreiche Todesopfer fordern. Doch ihm fehlt ein professionelles Management. Angeblich machte er in einem Wahlkreis Wahlkampf, von dem der Londoner Bürgermeister gar nicht gewählt wird.

Die aussichtslosesten Kandidaten haben mitunter den größten Charme. Zu ihnen gehört der Satiriker Count Binface (zuvor: Lord Buckethead), der bei seinen Auftritten einen Mülleimer auf dem Kopf trägt und bereits mehr als 5 000 Pfund für seine Kampagne gesammelt hat. Als er bei den Unterhauswahlen 2019 in Uxbridge gegen Boris Johnson antrat, holte er 69 Stimmen. Zu seinem Programm gehört der Eintritt Londons in die EU und die Umbenennung von London Bridge nach der Schauspielerin Phoebe Waller-Bridge (Fleabag). Richard Hewison von Rejoin EU, einem Ableger der paneuropäischen Partei Volt, fordert gleich den Wiedereintritt des ganzen Landes in die Staatengemeinschaft, meint es aber bierernst.

Und dann ist da noch der Rapper Drillminister aus Woolwich, der bei seinen Auftritten mit Sturmhaube und Sonnenbrille unheimlich militant wirkt, sich aber weder links noch rechts einsortiert und eine unerwartet vernünftige Agenda verfolgt. Er vertrete die Arbeiterklasse, sagte er dem Sender Al Jazeera. Doch günstigere Zeitkarten für Pendler mit niedrigen Einkommen, mehr Hilfe für Obdachlose und neue ÖPNV-Haltestellen für schlecht angebundene Viertel sind alles andere als revolutionär. Weitergehende Veränderungen fordert Valerie Brown mit ihrer Burning Pink Party. Sie will „die letzte Bürgermeisterin von London“ werden. Denn ihr Plan ist es, das Stadtparlament durch Bürgerversammlungen zu ersetzen.

Auch Liberaldemokraten und Grüne haben eigene Spitzenkandidaten aufgestellt. Doch angesichts der klaren Machtverhältnisse wird Khan sie als Mehrheitsbeschaffer auch diesmal nicht benötigen.