Banken im Ukraine-Krieg

Der große Eiertanz

Viele Finanzadressen tun sich schwer damit, den Ukraine-Krieg als solchen zu benennen. Mit dem sprachlichen Eiertanz schadet sich die Branche selbst.

Der große Eiertanz

Die Ukraine – ist da etwas? Doch, da ist etwas, zumindest wenn man die Verlautbarungen von Finanzdienstleistern für bare Münze nehmen darf. Der Finanzvertrieb DVAG etwa macht „Zeiten geopolitischer Krisen“ aus, Vontobel Asset Management gar einen „Ukraine-Konflikt“, bei Citigroup ist von „sinnlosem Verlust von Leben“ die Rede, von einer „humanitären Krise“ bei J.P. Morgan und bei HSBC Deutschland von einer „tragischen Dimension im Osten“. Bis zum Wort von der „militärischen Spezialoperation“ im Kreml-Duktus scheint es da nicht mehr weit. Bis Ostern dauert es noch vier Wochen; die Repräsentanten der Finanzbranche aber tanzen schon jetzt zwischen Eiern.

Dass rein zufällige Beliebigkeit hinter dieser Relativierung des Ukraine-Kriegs steht, darf man getrost ausschließen – reihenweise haben Spieler im Finanzsektor ihren Beschäftigten dieser Tage dezidiert vorgegeben, was wie zu sagen sei. Ob sie sich darüber im Klaren sind, dass sie sich mit ihren Euphemismen, fahrlässig oder mutwillig, zum Teil einer seit Covid-19 ohnehin grassierenden Informationspandemie machen, befeuert auch durch russische Medien? Wohlgemerkt: Deutsche Bank und Commerzbank nehmen das Wort Krieg in den Mund, ebenso diverse Verbände. Namentlich in der Kreditwirtschaft war zuletzt die Freude darüber, nach Jahren der durch die Finanzkrise beschädigten Reputation in der Pandemie wieder Teil der Lösung sein zu können, beinahe mit Händen zu greifen. Nun ist die Branche auf dem besten Weg, das neue Wohlwollen zu verspielen.

Warum eigentlich? Denkt man schon jetzt an die Zeit nach dem Krieg und will sich Russland als Markt warmhalten? Die Exposures dort sind doch angeblich ohnehin kaum der Rede wert, wie nach dem Überfall auf die Ukraine vielerorts eilfertig versichert wurde – auch wenn mit „unter ferner liefen“ angegebenen Beständen russischer Bürger schon einmal ein Volumen von 150 Mrd. bis 200 Mrd. sfr gemeint sein kann, wie vor wenigen Tagen die Jahrespressekonferenz der Schweizerischen Bankiervereinigung zutage gefördert hat. Oder ist es das Bestreben, in Fragen von größerer Tragweite grundsätzlich keinerlei Angriffsfläche zu bieten, um etwaige Kunden nicht zu verprellen? Oder geht die Leisetreterei auf die geübte Praxis von PR-Strategen zurück, hässliche Worte partout nicht im selben Satz wie den Namen ihres Arbeitgebers zu nennen – deshalb spricht mancher Profi auch lieber etwa von „Rightsizing“ anstelle von „Stellenabbau“ und scheint generell in einer Welt zu leben, in der es keine Probleme, sondern allenfalls „Herausforderungen“ gibt. Wie viele strategische Fehlentscheidungen sind schon zustande gekommen, allein weil Manager diesem Gesäusel erlagen und das, was die sprachlichen Feinmechaniker ersonnen hatten, selbst geglaubt haben?

Ganz gleich, welche Erklärung zutrifft: Schmeicheln kann den Banken keine einzige dieser Varianten. Sprache prägt das Denken und damit das Handeln. Und Krieg, der immer auch ein Kampf der Worte ist, klingt hässlich, weil er hässlich ist. Diesen hat Russlands Präsident Wladimir Putin begonnen. Am 24. Februar ist zwischen dem Westen und Russland eine Front gezogen worden, die weitaus länger Bestand haben wird, als die Verträge der momentan in Banken Verantwortlichen laufen werden. Wann, wenn nicht jetzt wäre der Zeitpunkt gekommen, diese Realität zu benennen? Wer sich dieser Frage nicht stellt, den wird diese Frage früher oder später einholen.

Gerne prangern Exponenten der Finanzbranche Unentschlossenheit und Attentismus der Politik an, wenn es um soziale, wirtschaftliche oder regulatorische Reformen geht, die in ihrem Interesse liegen. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat die Politik des Westens, die im Übrigen weitaus mehr unterschiedliche Interessen austarieren muss als ein Finanzdienstleister, Russlands Präsidenten Wladimir Putin, und vermutlich sich selbst, mit ihrer einmütigen Reaktion überrascht. Aus der Finanzbranche aber kommt von vielen Adressen derzeit nicht viel, abgesehen von Zusicherungen, man werde sich selbstverständlich an die Sanktionsbestimmungen halten. Es steht Unternehmen frei, den Rechtsstaaten des Westens, deren Struktur sie den eigenen Aufstieg und Erfolg zu einem nicht unwesentlichen Teil zu verdanken haben, die Auseinandersetzung mit dem autokratischen Aggressor zu überlassen – dies ist, anders als in Diktaturen, nicht das Problem, sondern das Wesen einer freien Gesellschaft. Jedes Gewese in Sachen Corporate Citizenship sollten sie dann allerdings bleiben lassen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.