Unterm Strich

Der Hilferuf des Jens Weidmann

Um die Stabilitätsorientierung wieder in der europäischen Geldpolitik zu verankern, braucht es eine politische Stärkung der Bundesbank.

Der Hilferuf des Jens Weidmann

Als ich vor einer Woche an dieser Stelle die Frage nach der Zukunft der Deutschen Bundesbank als unabhängige Notenbank stellte und eine Reform empfahl, hat dies bei etlichen Lesern – vielleicht auch bei Ihnen – Solidaritätsreflexe mit der Bundesbank ausgelöst. Das ist verständlich und auch gut so. Denn diese Rückendeckung der Bundesbank in breiten Kreisen der Bevölkerung hat die erfolgreiche Geldpolitik der Bundesbank von ihrer Gründung bis in die späten 1990er Jahre erst möglich gemacht. Nur so konnte sie die vielen Repressionsversuche der Politik abwehren und ihrem Auftrag treu bleiben. Legendär ist die Attacke Konrad Adenauers gegen den Zen­tralbankrat aus dem Jahr 1956: „Wir haben hier ein Organ, das niemandem verantwortlich ist, auch keinem Parlament, auch nicht einer Regierung.“ Wie später den Regierungen unter Helmut Schmidt und Helmut Kohl war schon Adenauer die restriktive Geldpolitik ein Dorn im Auge. Die beinahe schon stur zu nennende Stabilitätspolitik wurde zur Grundlage des deutschen Wirtschaftswunders und begründete den Mythos Bundesbank, den Jacques Delors einst so treffend auf den Punkt brachte: „Nicht alle Deutschen glauben an Gott, aber alle glauben an die Bundesbank.“

Die Geschichte der Notenbanken zeigt aber auch, dass eine unabhängige Institution allein nicht reicht, um auch eine von politischer Einflussnahme unabhängige Geldpolitik zu gewährleisten. Es braucht auch Persönlichkeiten, die diese Unabhängigkeit leben und verteidigen – und als Verbündete auf die Öffentlichkeit setzen können, wie im Falle Bundesbank. Da dies nicht immer vorausgesetzt werden kann, plädierte beispielsweise Walter Eucken, Vordenker der sozialen Marktwirtschaft und Begründer des „Primats der Währungspolitik“ als eines der konstituierenden Prinzipien der Wettbewerbsordnung, für eine an strenge Regeln gebundene Geldpolitik. Denn die Erfahrung zeige, „dass eine Währungsverfassung, die den Leitern der Geldpolitik freie Hand lässt, diesen mehr zutraut, als ihnen im Allgemeinen zugetraut werden“ könne. „Unkenntnis, Schwäche gegenüber Interessentengruppen und der öffentlichen Meinung, falsche Theorien“ – all dies beeinflusse die Geldpolitiker „sehr zum Schaden der ihnen anvertrauten Aufgabe“.

Unabhängigkeit reicht nicht

Nun soll hier nicht diskutiert werden, ob diese Eucken’sche Befürchtung auf die heute verantwortlichen Geldpolitiker(innen) zutrifft. Aber: Welche geldpolitischen Beschlüsse hätte wohl die Deutsche Bundesbank in Anbetracht einer auf 4,6% hochgeschnellten Inflationsrate gefasst, wenn die Geldpolitik noch in ihrer Zuständigkeit läge? Den Leitzins bei null lassen und weiterhin Monat für Monat zig Milliarden Liquidität über Anleihekäufe in den Markt pumpen? Sicher nicht. Denn alle drei die Geldpolitik der Bundesbank einst tragenden Säulen – ein enges, auf Preisstabilität lautendes Mandat, politische Unabhängigkeit und eine stabilitätsbewusste Bevölkerung – hätten das schwerlich zugelassen. Seit mit der Währungsunion die geldpolitische Zuständigkeit von der Bundesbank auf den Rat der Europäischen Zen­tralbank überging, hat sich zwar an den formalen Rahmenbedingungen wie dem Mandat und der politischen Unabhängigkeit nichts geändert. Im Gegenteil ist die Unabhängigkeit der EZB noch stärker gesetzlich abgesichert als jene der Bundesbank. Doch weder ließ sich die Stabilitätskultur der Bundesbank, die jeden ihrer Präsidenten formte, an die EZB vererben noch das von historischen Erfahrungen geprägte Stabilitätsbewusstsein der Deutschen auf die Mitbürger in der Währungsunion übertragen.

Da Geldpolitik angesichts der komplexen makroökonomischen Zusammenhänge nicht von einem Automatismus im Eucken’schen Sinne erfüllt werden kann, sind diskretionäre Entscheidungsspielräume nötig. Wenn diese Entscheidungsgewalt in einer Demokratie an eine nicht der demokratischen Kontrolle unterliegende Institution übertragen wird, muss dafür ein enger Rahmen definiert werden. Im Falle der Notenbank die langfristige stabilitätsorientierte Strategie und die Rechenschaftspflicht. Die NGO Transparency International hat es mit Blick auf die EZB einmal wie folgt formuliert: „Wenn Unabhängigkeit eine Seite der Medaille ist, so ist ein enges Mandat die andere.“

Agiert die EZB noch innerhalb ihres engen Mandats? Haben nicht längst fiskalpolitische, wachstumspolitische und umweltpolitische Ziele den Auftrag der Geldwertstabilität überlagert? Wer die Begründungen zur fortgesetzt ultralockeren Geldpolitik aus den Reihen des EZB-Direktoriums wie auch des EZB-Rats studiert, muss zum Schluss kommen, dass die EZB ihr Mandat nicht nur weit interpretiert, sondern inzwischen verletzt. Doch es gibt niemanden, der sie in die Schranken weisen oder die Verantwortlichen bei Fehlleistung zur Rechenschaft ziehen könnte. Der Versuch, das Erfolgsmodell Bundesbank auf eine supranationale Institution wie die EZB zu übertragen, ist leider gescheitert.

Rücktritt nicht zufällig

Da sich Geschichte nicht zurückdrehen lässt, muss nach Wegen gesucht werden, um Stabilitätsorientierung in der europäischen Geldpolitik wieder Geltung zu verschaffen. Die Stimme einer unabhängigen Bundesbank ist im System der Euro-Notenbanken nur eine unter vielen. Sie kann sich Gehör, aber keine Geltung (mehr) verschaffen. Deshalb braucht die Bundesbank künftig eine stärkere politische Rückendeckung der deutschen Regierung, der die Wähler gerade erst Nachhaltigkeit – in der Geldpolitik nennt man das Stabilitätsorientierung – ins Aufgabenheft geschrieben haben. Bundesbankpräsident Jens Weidmann macht dies mit dem Timing seines Rücktritts möglich. Er verstößt damit, gewiss nicht zufällig, gegen ein Prinzip der personellen Unabhängigkeit von Notenbanken, das auch bei der Bundesbank etabliert ist. Um zu verhindern, dass sich Regierungen ihr genehme Geldpolitiker aussuchen können, unterscheiden sich die Amtszeiten von Bundesbankpräsidenten bewusst von Legislaturperioden. Dieses Prinzip zu durchbrechen, ist ein Signal, wenn nicht gar ein Hilferuf.

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