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Der Kollege von der KI

Die kleine italienische Zeitung Il Foglio wagte in den letzten Wochen ein Experiment: Ein Teil des Blattes, täglich vier Zeiten, wurde von dem "Kollegen" Künstliche Intelligenz erstellt.

Der Kollege von der KI

Es ist ein Experiment, das zeigt wie vielfältig die Einsatzmöglichkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI) auch im Journalismus sind. Über mehrere Wochen produzierte die Redaktion der kleinen liberalen Zeitung Il Foglio tagtäglich quasi zwei Zeitungen: Eine klassische mit zehn Seiten und eine weitere, täglich vier Seiten, erstellt von einer erweiterten Version des KI-Chatbots Chat-GPT, Chat-GPT Pro. Abgedeckt werden vier Sparten: Kultur, politische Debatten sowie Außen- und Innenpolitik.

Es hat sich deutlich gezeigt, dass der KI-Kollegen durchaus in der Lage ist, eine Zeitung zu erstellen, die sich auf den ersten Blick in (fast) keiner Hinsicht von der journalistisch erstellten Version unterscheidet. Sogar der für das Blatt typische Stil findet sich wieder. Es ist die weltweit erste Zeitung, die einen kompletten Teil durch Künstliche Intelligenz erstellen lässt.

Erst 1996 gegründet, ist „Il Foglio“ mit einer Auflage von 29.000 Exemplaren eine kleine Zeitung, eine Zeitung, die mit umfangreichen Analysen und Kommentaren oft sehr pointiert und kenntnisreich berichtet. Eine Zeitung auch, die von umfangreichen öffentlichen Hilfen profitiert – so wie praktisch jede italienische Zeitung. Aber auch ein Blatt, das sich im Spektrum der italienischen Zeitungslandschaft durch eine starke Unabhängigkeit auszeichnet und sich schwer vereinnahmen lässt.

Dass Chefredakteur Claudio Cerasa trotz der guten Arbeit des „Kollegen“ von der KI der Meinung ist, die Qualität der menschlichen Kollegen sei um „Lichtjahre“ besser, kann nicht überraschen. Das aber schließe eine Weiterentwicklung eines Foglio-tauglichen KI-Bots nicht aus, fügt er hinzu.

Fragen an den Chatbot

Konkret funktioniert das Experiment so, dass zwei Journalisten täglich Fragen an den Chatbot stellen, ein Thema vorschlagen, einen Stil verordnen, Längenvorgaben machen: Nach spätestens zehn Minuten wird ein druckreifer Text ausgespuckt, so der Chefredakteur. Auch Zusammenfassungen langer Dokumente werden erstellt. Die Ergebnisse werden umso besser, je genauer die Fragen sind.

Allein auf die KI verlassen wollen sich die Macher nicht. Man wolle eine Diskussion über die Zukunft des Journalismus anstoßen, sagt Cerasa. Medienexperten wie Andrea Garibaldi halten die KI-Artikel für „brauchbar“. Es fehle aber eine Einordnung und Scoops werde es auf diese Weise nie geben.

Es gibt auch Irrtümer. Die Leser sind aufgefordert, solche zu melden. In den Leserreaktionen geht es nicht immer nur um Fehler, sondern oft auch um grundsätzliche Fragen.

Und noch etwas: Der KI-Kollege denke stark in angelsächsischen Kategorien, vertraue auf offizielle Quellen und suche meist einen Ausgleich. Das ist eine Gabe, die in diesen aufgehetzten Zeiten manchmal vielleicht sogar wünschenswert ist. Chefredakteur Cerasa freut sich über die große Aufmerksamkeit. Und die Verkäufe seien um 60% gestiegen.

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Der Kollege von der KI

Von Gerhard Bläske
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