Der leise Ausstieg Griechenlands aus dem Krisenmodus
Von Andreas Heitker, Brüssel
Dafür, dass die griechische Staatsschuldenkrise die gesamte EU jahrelang in Atem gehalten und der Währungsunion ihre bis heute schlimmste Krise beschert hat, kommt die Rückkehr in die vermeintliche „Normalität“ eher leise daher. In einem nüchtern gehaltenen, knappen Schreiben teilten die EU-Kommissare Valdis Dombrovskis und Paolo Gentiloni dem griechischen Finanzminister Christos Staikouras Anfang des Monats mit, dass die „verstärkte Überwachung“ der Wirtschaftsentwicklung, der Haushaltslage und der Reformprozesse wie geplant am 20. August ausläuft und nicht noch einmal verlängert wird. Der im Mai veröffentlichte Kommissionsbericht zu Griechenland – der 14. seiner Art – wird damit der letzte bleiben. Hellas wird in Zukunft ganz normal wieder an der Brüsseler Haushaltsüberwachung teilnehmen und keinen Sonderstatus mehr haben.
Von 2010 bis 2018 hatte Griechenland drei Hilfsprogramme durchlaufen und dabei von den europäischen Partnern 245 Mrd. Euro erhalten. Hinzu kamen Kredite vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Im Gegenzug wurden von Athen Hunderte, zum Teil knallharte Reformen verlangt. Trotzdem stand der Verbleib des Landes in der Eurozone insbesondere 2015 zeitweise Spitz auf Knopf. Die Spielchen des damaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis sind heute ebenso fester Bestandteil der Euro-Geschichtsbücher wie einige der Beiträge seines Gegenspielers Wolfgang Schäuble („Am 28., 24 Uhr, isch over.“).
Im Juni 2018 folgte in Luxemburg die letzte von vielen Nachtsitzungen der Eurogruppe zur Zukunft Griechenlands. Beschlossen wurde, Athen mit einem Liquiditätspuffer von 24,1 Mrd. Euro aus dem auslaufenden Hilfsprogramm zu entlassen. Das Geld reichte damit rechnerisch für 22 Monate, ohne dass der Kapitalmarkt angezapft werden musste. Auch wurden die EFSF-Kredite um zehn Jahre verlängert. Die zins- und tilgungsfreie Zeit erstreckt sich damit noch bis 2032. Kein anderes Programmland des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) war unter derart komfortablen Bedingungen in die Freiheit entlassen worden.
Doch ist die Krise heute tatsächlich beendet, nur weil jetzt auch die verstärkte Überwachung endet? Die EU- Kommission erkannte an, dass Griechenland „den Großteil“ der politischen Zusagen von 2018 erfüllt hat – selbst unter den schwierigen Bedingungen von Pandemie und Krieg in der Ukraine. Die Widerstandsfähigkeit der griechischen Wirtschaft habe sich erheblich verbessert und die Risiken von Ausstrahlungseffekten auf die Euro-Wirtschaft erheblich abgenommen, hieß es.
Laut der Frühjahrsprognose der Kommission ist in Griechenland ein Wachstum von 3,5% in diesem und 3,1% im nächsten Jahr zu erwarten. Das Budgetdefizit soll 4,3% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in diesem und nur noch 1,0% im nächsten Jahr betragen. Allerdings bleibt das Land hoch verschuldet: Die Staatsverschuldung summiert sich 2022 auf 186% und 2023 dann auf 180% des BIP. Griechenland bleibt das mit Abstand am stärksten verschuldete Land Europas. Die Tendenz geht zwar in die richtige Richtung, nachdem die Schulden 2020 im Zuge der Coronahilfen auf über 200% des BIP hochgeschnellt waren. Aber Verbesserungen beispielsweise zu 2018 gibt es aktuell nicht.
Athen musste sich 2018 verpflichten, bis 2022 einen Haushaltsprimärüberschuss – also vor Zinszahlungen – von 3,5% per anno zu erwirtschaften. Dies hatte zumindest bis zum Corona-Ausbruch auch funktioniert. Für die Jahre bis 2060 wird nun durchschnittlich ein Überschuss von 2,2% verlangt. Und nur wenn dies gelingt, könnten die Milliardenkredite auch irgendwann zurückgezahlt werden. Positiv dürfte sich allerdings der EU-Wiederaufbaufonds auswirken, aus dem Athen bis 2026 nicht rückzahlbare Zuschüsse von 17,8 Mrd. Euro und Darlehen von 12,7 Mrd. Euro erhält. Dieses Geld dürfte einen erheblichen Effekt auf die Investitionen im Land haben.
Sein Land sei nicht mehr „das schwarze Schaf Europas“, jubelte Regierungschef Kyriakos Mitsotakis, als bereits im Juni die Eurogruppe grünes Licht für das Auslaufen der „verstärkten Überwachung“ gegeben hatte. Damit schließe sich ein schmerzhafter Kreislauf, der vor zwölf Jahren begonnen habe. Und in seiner Antwort an Dombrovskis und Gentiloni schrieb Finanzminister Staikouras, die jüngsten hohen Wachstumsraten würden von einer allmählichen Neuausrichtung des BIP auf Investitionen und Exporte begleitet. Die Beschäftigungsquoten stiegen, und die Situation der Banken verbessere sich.
Doch selbst wenn Griechenland stabil bleibt, wenn jetzt die Zinsen wieder steigen – uneingeschränkt positiv fällt der Rückblick nicht aus. Weder in Athen noch in Brüssel oder beim ESM in Luxemburg, wo 2020 unter der Führung des früheren EU-Wettbewerbskommissars Joaquín Almunia ein Sonderbericht vorgelegt wurde, in dem zahlreiche Mängel in den Griechenland-Programmen aufgelistet wurden. Die Gelder hätten der griechischen Wirtschaft zwar geholfen, sich zu stabilisieren und zu wachsen, hieß es. Gleichzeitig hätten das Land und seine Bürger aber unter den Folgen einer langen wirtschaftlichen Anpassung gelitten. Die sozialen Bedürfnisse der Menschen seien nicht ausreichend berücksichtigt worden.