Schanghai

Der nächste Jahres­auftakt nach Maß

Der Januar gilt als ein Launekiller, der mit ersten enttäuschten Hoffnungen zum guten neuen Jahr aufwartet. In China ist das freilich ganz anders. Da läuft alles wie am Schnürchen.

Der nächste Jahres­auftakt nach Maß

Kalenderwechsel sind tückisch. Die meisten Menschen sind schließlich so etwas wie Hoffnungswesen und einem gewissen Optimierungsdenken verpflichtet. Daraus ergibt sich fast zwangsläufig, dass die Dinge in einem neuen Jahr gefälligst besser zu laufen haben als im schäbigen alten. Erfahrungsgemäß tritt in westlichen Ländern so ab der zweiten und spätestens der dritten Januarwoche kollektive Ernüchterung ein, dass der optimistische Erwartungsdruck dem ersten Realitätscheck nicht so richtig standzuhalten vermag. Das neue Jahr hat dann in der Regel bereits die ersten Kratzer abbekommen, und die tun bekanntlich – wie jeder Neuwagenkäufer bezeugen kann – besonders weh.

In Ländern mit ausgeprägter Konsum-auf-Pump-Kultur pflegen die einschlägigen Kreditkartenabrechnungen mit der Schreckensbilanz zu Shopping-Exzessen aus der Weihnachtszeit Mitte Januar in die Briefkästen oder E-Mail-Postfächer zu flattern. In Verbindung mit dem garantiert unerfreulichen Wetter wachsen die Chancen auf einen gehörigen Januar-Blues beträchtlich. Diejenigen, die mit ersten Erfolgsmeldungen in Sachen Einhaltung guter Neujahrsvorsätze in der Bandbreite von gesunder Ernährung bis heiterer Ausgeglichenheit im Arbeitsleben dagegenhalten können, sind zumindest gefühlt in der Minderzahl.

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Zur Trostlosigkeit in der westlichen Welt gibt es natürlich einen chinesischen Gegenentwurf, mit dem es sich wesentlich beschwingter in den Januar blicken lässt. Das Reich der Mitte kann mit zwei grundsätzlichen Vorteilen aufwarten. Zum einen ist da der Mondkalender, der keinen harten Jahreswechsel am 1. Januar kennt, sondern wechselnd in der zweiten Januar- oder ersten Februarhälfte das chinesische Neujahr als sogenanntes Frühlingsfest feiert. Zum anderen gibt es eine Staatsführung, die zumindest seit Oktober 2012, also mit dem Antritt von Staatspräsident Xi Jinping, immer alles richtig macht, so dass nur stimmungsaufhellende Fortschrittsbotschaften ins Narrativ eingehen.

In einem Land, in dem es immer aufwärts geht, kann man jedem neuen Jahr guten Mutes ins Auge sehen. Der Januar bringt zwar auch in China grauenvolles Wetter mit sich, hat aber den unschätzbaren Vorteil, dass die große Neujahrsparty noch bevorsteht. In diesem Jahr fällt das Neujahrsfest mit dem zwar nicht meteorologisch, aber natürlich spirituell fühlbaren Frühlingsbeginn auf den 1. Februar. So bleiben noch drei Wochen, in denen es gilt, nicht Trübsal zu blasen, sondern Feststimmung aufkommen zu lassen.

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Spaßbremsend ist freilich, dass Chinas sogenannte „dynamische Nulltoleranz“ in Sachen Covid und damit drakonische Lockdown-Maßnahmen bei minimalen Inzidenzquoten die eigentliche Hauptattraktion des Neujahrsfestes kompromittieren: Aus der feierlichen und mit Geschenken beladenen Rückkehr eines jeden Chinesen in seinen Heimatort und Familienhort wird wegen Beschränkungen der dafür erforderlichen Reisetätigkeit in diesem Jahr für viele nichts. So müssen die meisten Großfamilienfeiern wohl oder übel in parzellierten Einheiten begangen werden, die nur per Videolink und Live­stream-Kanälen das gewünschte Gesamtgefüge ergeben. Gleich darauf gibt es schon den nächsten Höhepunkt an den Bildschirmen zu erleben, wenn am 4. Februar die Olympischen Winterspiele in Peking und Umgebung loslegen.

Da niemand von auswärts in das künstlich beschneite Winterparadies einreisen darf, um die Covidfreie „Bubble“ nicht zu gefährden, sind die Athleten und handverlesenen Zuschauer unter sich. Das schafft sicherlich eine familiäre Atmosphäre, ganz so, wie es sich fürs chinesische Neujahr gehört. Laut offizieller Darstellung übrigens befindet sich die Nation bereits in einem Zustand freudigen Wintersportfiebers mit „elektrisierender Wirkung“, während sich der Rest der Welt einschließlich des IOC-Chefs Thomas Bach auf perfekt organisierte Spiele mit chinesischen Charakteristika freut. Gute Stimmung mit offizieller Gewährleistung also – der Jahresauftakt 2022 kann jetzt schon als Erfolgsgeschichte gelten.