Notiert inTokio

Der Preis vom Reis ist heiß

Japan sucht händeringend nach Ursachen für eine plötzliche Verknappung seines wichtigsten Grundnahrungsmittels. Dabei liegt die Erklärung auf der Hand.

Der Preis vom Reis ist heiß

Notiert in Tokio

Der Preis vom Reis ist heiß

Von Martin Fritz

Japan erlebt die größte Reiskrise seit Jahrzehnten: Viele Regale sind leer, der Verkauf im Supermarkt und im Internet ist auf 5 Kilogramm begrenzt, die Preise sind um bis zu 60% zum Vorjahr gestiegen. Es ist ein nationaler Aufreger, weil der Reis den Japanern heilig ist. Wer ein einziges Korn in der Schale lässt, provoziert die Götter. Das Wort „gohan“ für Reis ist dasselbe wie für „Essen“ im Allgemeinen.

Sommerhitze schadet

Die Fakten passen jedoch nicht zusammen: Einerseits ist die gelagerte Menge bei privaten Anbietern um ein Fünftel zum Vorjahr auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen vor 25 Jahren gefallen. Andererseits soll die Erntemenge im Vorjahr nicht niedriger ausgefallen sein. Hier werfen Insider ein, die Reisqualität sinke durch die höheren Temperaturen im Sommer. Viele Körner eigneten sich daher nicht mehr für den polierten weißen Reis, den die Mehrheit der Japaner bevorzugt.

Japanische User auf der Plattform X wiederum machten den Heißhunger der plötzlichen Massen von ausländischen Touristen auf Sushi-Happen und Onigiri-Reisbällchen für die Knappheit verantwortlich. Andere verwiesen auf die Hamsterkäufe von Japanern nach einer Warnung der Regierung im August, genug Notvorräte für ein großes Erdbeben anzulegen.

Verfehlte Bauernhilfe

Doch Kazuhito Yamashita, ein hoher Ex-Beamter in Agrarministerium und heute Referent am Canon Institute of Global Studies, präsentierte im Interview mit der Zeitung „Mainichi“ eine einfache Erklärung, die nicht nur Ökonomen einleuchtet: die konsequente Verringerung der Anbauflächen seit über 50 Jahren. Die Regierung hält den Reispreis zugunsten der Bauern hoch, indem sie die Anbaufläche an die erwartete Nachfrage anpasst, weil die Japaner von Jahr zu Jahr weniger Reis essen. Subventionen bewegen die Bauern dazu, Sojabohnen und Weizen statt Reis anzubauen. In der Folge werden nur 60% der Reisfelder tatsächlich genutzt. Die Erträge stagnieren schon länger.

Die strikte Steuerung der Anbaufläche löst schon bei einem leichten Anstieg der Nachfrage Knappheiten und Preissprünge aus. Genau das passierte in diesem Jahr als Reaktion auf die Inflation bei Nahrungsmitteln: Erstmals seit zehn Jahren kauften die Konsumenten wieder mehr Reis, weil dessen Preis im Jahr 2023 nur um knapp 4% stieg, der Preis von Brot aber um 8% und der von Nudeln um 11%.

Reis als Luxus-Export

Die neue Ernte wird den Mangel ab Oktober lindern. Aber der Ex-Beamte Yamashita fordert dennoch einen radikalen Politikwechsel. Japan sollte die produzierte Reismenge kräftig steigern, um Indien als größten Reisexporteur der Welt abzulösen. Japans Reis sei so gut, dass er als Luxusprodukt vermarktet werden könne. In Kalifornien angebauter Reis der japanischen Standardsorte Koshihikari – den man auch in deutschen Asien-Supermärkten bekommt – koste schon heute mehr als das japanische Original. Kämen Japans Bauern trotzdem nicht auf ihre Kosten, sollten sie direkte Subventionen erhalten.

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