Der touristische Reiz von Wahlen
Notiert in Frankfurt
Der touristische Reiz von Wahlen
Von Lutz Knappmann
Wer viel reist und wer berufsbedingt häufiger seinen Wohnort wechselt, der lernt den demokratiefördernden Komfort der Briefwahl zu schätzen. Unbehelligt von persönlicher Zeitplanung und konkretem Aufenthaltsort bietet sie eine zuverlässige Variante der demokratischen Teilhabe in einer überaus mobilen Gegenwart.
Umso wertvoller werden freilich jene Gelegenheiten, bei denen es der Terminkalender und die eigene Sesshaftwerdung erlauben, persönlich ins Stimmlokal zu gehen, dort live seine Kreuzchen zu machen. Ein fast schon erhabenes Ritual, ein Wahlsonntagsspaziergang mit Wirkung für mindestens vier Jahre.
Die zufriedenen Blickwechsel mit anderen Passanten auf dem Weg zum oder vom Wahllokal verraten viel darüber, dass die demokratische Mehrheit ihr Wahlrecht nach wie vor als großes Privileg empfindet, das sie schätzt, pflegt und bewahrt. Verbunden mit der wohligen Gewissheit, das einzig Vernünftige zu tun: sein Stimmrecht zu nutzen und politisch Position zu beziehen. Zumal in so wirren, wilden und unvernünftigen Zeiten wie diesen.
Demokratie trifft Architektur
Ein interessanter Nebeneffekt der persönlichen Wahl ist allerdings eher, sagen wir, touristischer Natur: Der Gang ins Wahllokal bietet eine seltene Gelegenheit, die wohnortnahen Schulen zu besichtigen. Und einen Eindruck davon zu bekommen, wie es technisch und architektonisch um das Bildungswesen bestellt ist.
Der serielle Bewohner einer ganzen Reihe deutscher Großstädte kann so mit der Zeit eine bemerkenswert vielfältige Landkarte zeitgenössischer Schulgebäude und Klassenräume zusammentragen. Gewissermaßen eine Langzeitstudie der Auswirkungen föderaler Bildungspolitik.
Denn die Bedingungen, unter denen Schülerinnen und Schüler Tag für Tag lernen, sind regional ziemlich unterschiedlich. Manche Gegenwartsschule hält dabei nicht einmal dem Vergleich mit den prekären Zuständen an einigen Ruhrgebiets-Schulzentren in den 80er-Jahren stand. Anderenorts aber sind unterdessen moderne High-Tech-Lehranstalten entstanden, von denen Angehörige der Generation X in ihrer Kindheit nicht mal zu träumen gewagt hätten.
Maximaler Kontrast zum Linoleum-Muff
Auch Frankfurt hat solche Highlights zu bieten, etwa im Norden der Stadt, wo in den vergangenen 20 Jahren ganze Stadtteile neu entstanden sind. Und mit ihnen Schulen wie das Gymnasium Riedberg, das mit großen Fenstern, hellem Holz und großzügigem Platzangebot einen maximalen Kontrast zur muffigen Resopal- und Linoleum-Atmosphäre vergangener Schulgenerationen bildet: Moderner und technisch besser ausgestattet als mutmaßlich viele Büros, in denen die Eltern der Riedberg-Gymnasiasten arbeiten. Schon allein wegen solcher Einblicke, die bisweilen Zweifel, im konkreten Fall aber Hoffnung machen für die Zukunft der aktuellen Schülergeneration, lohnt sich der regelmäßige Gang ins Wahllokal.
Doch gleichgültig, wo Sie am Sonntag nun abstimmen dürfen: Bitte gehen Sie wählen!