ANSICHTSSACHE

Deutschland braucht ein kluges Gegenkonzept für Europa

Italiens Wähler sind mit Europa hart ins Gericht gegangen: Rund die Hälfte stimmte für antieuropäische Parteien. Hohe Schulden, faule Kredite in Bankbilanzen und Reformstau lähmen das Wachstum seit Jahren – trotz Niedrigzinspolitik der...

Deutschland braucht ein kluges Gegenkonzept für Europa

Italiens Wähler sind mit Europa hart ins Gericht gegangen: Rund die Hälfte stimmte für antieuropäische Parteien. Hohe Schulden, faule Kredite in Bankbilanzen und Reformstau lähmen das Wachstum seit Jahren – trotz Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Mindestens so viel Gegenwind bläst aus Norden in Richtung Brüssel: Acht nordeuropäische Staaten warnen in einem Brandbrief davor, die Währungsunion zu vertiefen und neue Kompetenzen auf die EU zu übertragen. Diese Warnschüsse sollten nicht länger ungehört verhallen. Die Fliehkräfte in Europa könnten sonst schnell noch größer werden, als sie ohnehin schon sind. Für Deutschland gab es zwei zentrale Bedingungen, in die Währungsunion einzutreten: die No-Bail-out-Klausel und eine Zentralbank in der Tradition der stabilitätsorientierten Bundesbank. An beide hat man sich nicht gehalten. Das hat die Währungsunion massiv beschädigt. Das billige Geld, mit dem die EZB die Märkte flutet, kann nicht ewig die Risse im Fundament Europas verdecken. Es ging darum, in Not geratenen Staaten Zeit für Reformen zu geben. Dafür ist die Frist abgelaufen – aber erfolgreich genutzt haben sie nicht viele. Ein positives Beispiel ist Irland. Deshalb zählt es heute zu den Unterzeichnern des Brandbriefes. Das Land und seine Bürger sind durch ein tiefes Tal geschritten. Jetzt soll Irland für Euro-Staaten einstehen, die diese Herausforderung scheuen? Es ist höchste Zeit wieder klare Ordnungsregeln zu etablieren, anstatt auf immer neue Umverteilung zu setzen.Die Initiative der Nordländer ist der notwendige Gegenentwurf zu den Reformvorschlägen von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der längst hätte aus Deutschland kommen müssen, um noch mehr gemeinsame Haftung, Bürokratie und Zentralismus zu verhindern. Dies würde in der EU Fehlentscheidungen und nationale Widerstände provozieren sowie Wettbewerb und Innovationen ausbremsen. Ein Mehr an Vergemeinschaftung von Schulden und Gleichmacherei spaltet die Währungsunion weiter. Unschärfe bereitet Sorge Anlass zur Sorge gibt das Europakapitel im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung. Der Text bleibt bewusst unscharf, wohl in der Hoffnung später die jeweils eigenen Überzeugungen durchsetzen zu können. Während der damalige SPD-Parteivorsitzenden Martin Schulz über eine Wende in der Europapolitik triumphierte, versicherte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihrer Fraktion, der Stabilitätskurs stehe. Die große Koalition muss deshalb Klarheit schaffen über ihre Europapolitik. Wer von neuen EU-Institutionen spricht, muss ihnen Aufgaben und Zuständigkeiten zuordnen. Wer für neue Investitionen oder für ein europäisches Budget eintritt, muss sagen, wozu es dienen soll, wer es finanzieren soll und wo der Mehrwert liegt. Auch das Problem einer Transferunion muss adressiert werden. Ein erster wichtiger Schritt ist, dass die CDU auf ihrem Parteitag klar gegen ein Abdriften Europas in die Transferunion gestimmt hat. Die Bundesregierung ist aufgerufen, den Impuls der Nordländer aufzunehmen und Eigenverantwortung, Subsidiarität und Wettbewerbsfähigkeit in den Mittelpunkt ihrer Europapolitik zu stellen. Die Einhaltung vereinbarter Regeln ist das Bindeglied in Europa – das kommt dem Süden und dem Norden zugute. Interessant ist, dass obwohl die Wahlprogramme aller in den Bundestag eingezogenen Parteien zusammen dicker als das Neue Testament sind, sie keine Antworten auf die Probleme der EU enthalten. Weder wie sich die Wettbewerbsfähigkeit verbessern und Schulden abbauen lassen, noch wie wir die deutschen Target-Forderungen, die uns erpressbar machen, zurückführen oder den EU-Binnenmarkt weiterentwickeln können. Dies zeigt, dass die Politik die Auswirkung dieser ungelösten Probleme immer noch massiv unterschätzt. Wenn einzelne Unionspolitiker ernsthaft fordern, dass sich der Wirtschaftsrat um Wirtschaftspolitik und nicht um Europa kümmern solle, verwundert das. Denn als Exportnation braucht Deutschland den Binnenmarkt und die EU als Zugang zur Welt wie die Luft zum Atmen, um sich im globalen Handel zu behaupten. Das ist klassische Wirtschaftspolitik. Und: Die Schritte in Richtung Transferunion sind unumkehrbar. Deutschland wird, wenn alle Bürgschaften gezogen würden, weder angemessen in seine Zukunft investieren, noch die sehr gute soziale Sicherung seiner Bürger auf Dauer leisten können. Das kann auch der SPD nicht recht sein. Um in Europa endlich voranzukommen, braucht es auch mehr Stabilität an den Finanzmärkten. Der Wirtschaftsrat hat hier eine klare ordnungspolitische Agenda auf der Basis, dass Handlung und Haftung wieder zusammenfallen: – Die Rettungspolitik darf nicht länger über die EZB erfolgen. Geldpolitik kann weder für eine höhere Produktivität sorgen, noch die Strukturen in der Wirtschaft verbessern. EU-Finanzhilfen sollte es nur gegen Reformen geben. – Eine EU-Einlagensicherung ist klar abzulehnen, solange das System in den Nationalstaaten nicht funktioniert und weiter Risiken in den Banken schlummern.Banken müssen Staatsanleihen – mit intelligenten Übergangsfristen – risikogewichtet mit Eigenkapital unterlegen. Durch Großkreditgrenzen für staatliche Schuldner wird die Widerstandsfähigkeit der Banken gestärkt.- Wirkungsvolle Finanzmarktregulierung muss sich an der Stabilität des Finanzsektors ausrichten und das Zusammenwirken aller Maßnahmen im Blick haben. Das Konzept einer Small and Simple Banking Box bietet eine Basis.- Keinesfalls darf das Clearing von Transaktionen in Euro außerhalb des Zugriffs des Europäischen Gerichtshofes stattfinden. Dies muss Ziel in den Brexit-Verhandlungen sein.Wolfgang Steiger ist Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU e.V.In dieser Rubrik veröffentliche wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wirtschaft.—–Von Wolfgang Steiger—-Die große Koalition muss in den Mittelpunkt ihrer Europapolitik Eigenverantwortung, Subsidiarität und Wettbewerbsfähigkeit stellen.