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Diätprogramm für den Staat

Eine umfassende Staatsreform in Deutschland ist nötig, um Bürokratie abzubauen und Entscheidungsprozesse voranzubringen.

Diätprogramm für den Staat

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Von Angela Wefers

Wenn drei Elder Statesmen und eine Frau aus eigenem Antrieb Vorschläge für eine Staatsreform machen, liegt etwas im Argen in Deutschland. Der frühere Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle, der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD), der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière und die Medienmanagerin Julia Jäkel, einst Gruner+Jahr, präsentierten vor wenigen Tagen eine „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“. Der Inhalt von 30 Empfehlungen liefert prinzipielle Lösungsansätze für zehn dringend reformbedürftige Kernfelder.

Dazu gehört unter anderem eine Föderalismusreform, die Zuständigkeiten wieder schärfer auf die einzelnen Ebenen zuschneidet, eine Sozialstaatsreform mit radikal vereinfachten und in Bundeshand gebündelten Förderungen oder ein neues, mit Entscheidungskompetenzen ausgestattetes Bundesdigitalministerium. Ein starkes Plädoyer gilt einer neuen Personalkultur in den Verwaltungen: Das hohe Bedürfnis nach Absicherung, Silodenken, Perfektionsanspruch und die Angst vor Verantwortung sollen mehr Risikobereitschaft und der Lust am Gelingen weichen. Zu viel Energien fließt den Autoren zufolge hierzulande in die Entscheidungsfindung, zu wenig in die praktische Umsetzung.

Die Themen sind nicht neu, aber deshalb keineswegs falsch. Über vieles wird seit Jahren in Deutschland ergebnislos diskutiert. Oder der Weg weist in die falsche Richtung, wie etwa jetzt beim neuen Infrastruktur-Sondervermögen: Die Tranche für die Länder, die der Bund mutmaßlich finanziert, vermischt Aufgaben wieder stärker, anstatt Verantwortung sauberer zu trennen.

Bemerkenswerter noch als der Inhalt ist die Tatsache, dass die vier Persönlichkeiten ihr Reformkonzept ohne Auftrag entwickelt haben. Seit Wochen sind sie dazu im Austausch mit mehr als 50 Experten ohne parteipolitische Agenda oder Lobbyauftrag. Dieses gesellschaftspolitische Engagement verantwortungsgetriebener Persönlichkeiten zeigt noch mehr, wie dringlich eine tiefgreifende Reform im Staatswesen ist, wenn Deutschland aus seinem wirtschaftlichen Tief wieder herauskommen will. Nur so kann es treibende Kraft in einem Europa bleiben, das auch sicherheitspolitisch für sich selbst sorgt. Der handlungsfähige Staat ist zudem Garant gegen den weiteren Aufstieg populistischer Parteien an den politischen Rändern.

Die Staatsreformer sind nicht allein. Der – unabhängige – wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium hatte ebenfalls vor wenigen Tagen in einem Gutachten zu „Bürokratieabbau und ergebnisorientiertes Verwaltungshandeln“ Lösungsvorschläge für einen schlankeren und zielgerichteteren Staat gemacht. Die Forscher setzten ihre Themen selbst. Hoffnung gibt zudem, dass in den schwarz-roten Sondierungsgesprächen eine Arbeitsgruppe „Bürokratieabbau und Staatsmodernisierung“ sich des Themas annimmt. Es braucht nur noch beherzte Lösungen.

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