Die Ergebnisse der EU-Zukunftskonferenz
Am Montag, wenn in den europäischen Institutionen der jährliche Europatag begangen wird, findet im EU-Parlament in Straßburg eine ganz besondere Feierstunde statt: Die Präsidentinnen von Parlament und Kommission, Roberta Metsola und Ursula von der Leyen, und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, dessen Land aktuell die EU-Ratspräsidentschaft innehat, erhalten den Abschlussbericht der Konferenz zur Zukunft der EU überreicht. Es ist die Essenz einer bislang einmaligen Bürgerbeteiligung in Europa, bei der ein Jahr lang zusammen mit Abgeordneten Reformideen für die Europäische Union zusammengetragen wurden. Zusammengekommen sind 49 Vorschläge mit 325 konkreten Handlungsempfehlungen, wie sich die EU demokratischer und mehr nach den Vorstellungen der Bürger ausrichten kann. Die Empfehlungen wurden auf den Europäischen Bürgerforen, auf nationalen Veranstaltungen und anhand von Tausenden Ideen entwickelt, die auf der digitalen Plattform der Zukunftskonferenz verfasst wurden.
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Längst nicht alle dieser 325 Vorschläge für die Brüsseler Politik sind spektakulär und erfrischend neu. Viele der Anliegen waren auch erwartbar und unterstützen nur eine Politik, die ohnehin schon zum Status quo gehört, beispielsweise mit Forderungen zu mehr Nachhaltigkeit, zum Green Deal, zur Digitalisierung oder zum Kampf gegen Steuervermeidung und für mehr Steuergerechtigkeit. Immer wieder kann man allerdings auch herauslesen, dass die Bürger mehr Aufmerksamkeit für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) wünschen. Der Grundsatz „Think small first“ müsse in allen Gesetzgebungsvorschlägen der EU respektiert werden, heißt es in den Handlungsempfehlungen beispielsweise. Und immer wieder werden deutlich mehr EU-Kompetenzen im Bereich der Sozial- und der Gesundheitspolitik gefordert. Die vollständige Umsetzung der sogenannten europäischen Säule sozialer Rechte wird gleich an mehreren Stellen auf der Wunschliste verlangt.
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Interessant wird es im Abschlussbericht, wenn es konkret um eine Änderung der EU-Verträge geht, die ja insbesondere die Mitgliedstaaten scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Was da alles passieren kann, hat man ja nach dem bislang letzten Verfassungskonvent 2002/03 gesehen, als der eigentlich geplante EU-Verfassungsvertrag gescheitert ist. Die Vorschläge der Zukunftskonferenz für Verfassungsänderungen sind aber reichhaltig: Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit anstelle von Einstimmigkeit unter anderem in der Außen-, Steuer- und Haushaltspolitik oder auch bei Rechtsstaatssanktionen. Initiativrecht für das Europaparlament. Neue europäische Grundrechte für Familien wie die Ehe für alle oder bei Adoptionen. Europäische Mindestlöhne. Die Möglichkeit eines EU-weiten Referendums. Europäische Investitionen finanziert durch europäische Schulden. Mehr Transparenz bei Ratsentscheidungen. Größere EU-Kompetenzen für Sozialpolitik.
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Das Europaparlament ist natürlich äußerst zufrieden mit diesem Forderungskatalog, stärkt dieser doch die Macht der Abgeordneten im Brüsseler Institutionengefüge. Das Parlament hat deshalb in dieser Woche schon einmal eine Erklärung verabschiedet, dass es nach den Bürgerkonferenzen nun auch einen neuen Verfassungskonvent für umfassende Reformen geben müsse. Dies soll sicherstellen, dass die Ergebnisse der Zukunftskonferenz auch in irgendeiner Art und Weise umgesetzt werden. Man müsse die Erwartungen der Bürger auch erfüllen, heißt es in der Erklärung. Daniel Freund, der Grünen-Vertreter im Präsidium der Zukunftskonferenz, sieht dies auch so. Bei einer Umsetzung würde die EU seiner Einschätzung nach einen guten Schritt nach vorn machen, nämlich hin zu einer Föderalen Republik Europa. Die Abschaffung nationaler Vetos müsse dabei von höchster Priorität sein, sagt Freund. „Sie ist die Kernforderung der Konferenz und würde der europäischen Handlungsfähigkeit einen enormen Schub verschaffen.“