Twitter

Die Freiheit, die ich meine

Elon Musks Pläne für Twitter stoßen zu Recht auf Widerstand: In Zeiten von Kriegspropaganda, Hate-Speech und Fake News ist sein Postulat von einer radikalen Redefreiheit bestenfalls eine naive Vorstellung.

Die Freiheit, die ich meine

Die Begründung ist verräterisch: „Ich habe in Twitter investiert, weil ich glaube, dass das Unternehmen das Potenzial hat, die weltweite Plattform für Redefreiheit zu sein“, erklärte Tesla-Impresario Elon Musk vor wenigen Tagen sein Milliardengebot für den Kurznachrichtendienst. Musk sieht „das Potenzial“ – und unterstellt damit, dass Twitter derzeit eben keine Plattform für Redefreiheit ist. Zumindest nicht in der Form, wie er sie sich vorstellt: Als selbst ernannter „Absolutist der Meinungsfreiheit“ postuliert der Elektroauto-Pionier einen radikalen und von regulierenden Eingriffen möglichst unbehelligten Begriff von Redefreiheit. Eine Bühne, auf der alles, aber auch wirklich alles gesagt werden darf. Und Twitter, so Musks feste Überzeugung, wird dieser Aufgabe bislang nicht gerecht.

In Zeiten von Kriegspropaganda und Coronaleugnern, von Hate-Speech und Fake News ist das bestenfalls eine naive Vorstellung. Aber dass er naiv sei, kann man Elon Musk wahrhaft nicht unterstellen. Ein knappes Zehntel der Twitter-Anteile gehört ihm bereits – und sein weiterer Plan ist klar formuliert: Die Plattform für rund 43 Mrd. Dollar kaufen, von der Börse nehmen, dem Vorstand das Gehalt streichen – und den Nutzern neue, liberale, grenzweise libertäre Spielregeln an die Hand geben. Alles im Sinne von Demokratie und Meinungsfreiheit?

Eher nicht. Und so wächst der Widerstand gegen eine Twitter-Übernahme – auch von Investoren und im Unternehmen selbst. Dass Musk mit seinem Übernahmeplan Erfolg hat, wird immer unwahrscheinlicher. Doch unruhig macht der Vorstoß trotzdem. Denn der Milliardär hat ausreichend bewiesen, was Twitter für ihn ist: seine Bühne. Mehr als 80 Millionen Menschen folgen ihm, resonieren jede seiner Aussagen. Die Wirkungsmacht von Twitter ist gewaltig und Musk weiß sie zu nutzen. Es hatte gute Gründe, dass die US-Börsenaufsicht SEC Musk einst dazu verdonnerte, Tweets zu börsenrelevanten Themen von Juristen vor der Veröffentlichung absegnen zu lassen. Regelmäßig löste er mit oft nur wenige Zeichen langen Tweets regelrechte Erdbeben für Aktien, Kryptowährungen oder ganze Marktsegmente aus.

Das ist es, was Menschen wie Musk an Plattformen wie Twitter reizt: Sie wollen nicht nur gehört werden. Sie wollen Wirkung erzielen, einen Impact haben. Und das geht am besten, wenn ihre gerne steilen Thesen möglichst unwidersprochen bleiben. Und im Zweifel haben sie Mittel und Wege, häufig ganz besonders die Mittel, sich ihre eigene Bühne zu schaffen.

Mit seinem Twitter-Vorstoß folgt der Milliardär Musk einem alarmierenden Muster: Immer wieder wählen etablierte Lautsprecher den Weg, ein eigenes Medium oder eine eigene Plattform aufzubauen, wenn sie auf bestehenden Kanälen mit ihren Thesen nicht mehr durchdringen. Wenn sie sich strafrechtlichen Konsequenzen ihrer Äußerungen aus­gesetzt sehen – oder sie, wie im besonders extremen Fall des früheren US-Präsidenten Donald Trump, von einer Plattform verbannt werden.

Elon Musk und Donald Trump trennen politisch Welten. Doch ihr Lamento über den angeblich eingeschränkten öffentlichen Diskurs ähnelt sich: Die neu gegründete Plattform Truth Social, auf der dem Republikaner Trump und seinen Anhängern niemand mehr die Bühne streitig machen soll, formuliert in ihrer Selbstbeschreibung vollmundig: Truth Social ist eine Plattform, die eine „offene, freie und ehrliche globale Unterhaltung ermöglicht, bei der keine politische Ideologie diskriminiert wird“. Womit aber vor allem eines gemeint ist: Trumps von Populismus, Lügen und Diffamierung geprägte Ideologie, mit der der Ex-Präsident auf Twitter Hausverbot hat.

Ob „globale Unterhaltung“ oder „weltweite Plattform“: Im Sinne echter Meinungsfreiheit kann es nicht sein, wenn sich Personen zu ihrem Vorkämpfer erklären, für die das Investment in eine Plattform eher dem Kauf eines – zugegeben teuren – Spielzeugs gleicht. Und die damit Eigeninteressen verfolgen, entkoppelt vom Erfolg der Plattform selbst. Es gehört zum Wesen sozialer Netzwerke, dass ihre Wirkungsmacht für manche Interessen förderlich, für andere bedrohlich ist. Ohne Spielregeln, die immer wieder durchsetzen, dass Recht und Gesetz auch im digitalen Raum gelten, sind sie zum Scheitern verurteilt.

Nötig ist dafür freilich ein Konsens: Redefreiheit heißt, dass alles gesagt werden kann. Aber nicht, dass alles unwidersprochen bleibt. Zu glauben, dass sich diese Ansicht alsbald durchsetzt, das allerdings wäre wohl tatsächlich naiv.