Moskau

Die O-Mega-Mutante und Katharina die Große

Dass gerade die vierte Coronawelle heranrollt, sorgt in Russland keinesfalls dafür, dass man den Humor verliert. Ob das bei einer O-Mega-Variante auch noch so ist, wie jetzt bei der O-Mikron-Mutante bleibt allerdings abzuwarten.

Die O-Mega-Mutante und Katharina die Große

Im telefonischen Gespräch mit einem alten russischen Bekannten tauchte dieser Tage die Frage auf, welchen Platz der Buchstabe Omikron, nach dem die jüngste Corona-Mutante benannt ist, damit man sie politisch korrekt nicht nach dem Land seiner Entdeckung „die südafrikanische“ bezeichnet (wie gefällt es übrigens den Griechen, dass alle Mutanten in ihrer Sprache benannt werden?), denn im altgriechischen Alphabet einnehme. Es sei der fünfte Platz, behauptete mein Bekannter felsenfest und ließ meine Zweifel daran nicht gelten.

Dass der Disput ergebnis- und fruchtlos endete, lag – wie sich später herausstellte – nicht am Alkohol, den wir zugegebenermaßen begleitend tranken. Er habe seine Brillen nicht aufgehabt, rechtfertigte der Russe am nächsten Tag seinen Irrtum. In Wahrheit nehme das Omikron, wie er jetzt richtig gelesen habe, Platz 15 im Alphabet ein.

Ich kann meinem Gesprächspartner den Fehler auch nicht verdenken, obwohl das kyrillische Alphabet aus dem Altgriechischen kommt und er es daher vielleicht hätte wissen können. Denn das Omikron ist unabhängig von der Lesebrille ganz einfach klein. Die Griechen haben es nämlich auch so bezeichnet: „o mikron“ = „kleines O“.

Am Ende tauschten wir uns noch darüber aus, wie wohl das Virus aussehen werde, wenn es dereinst eine Mutante gibt, die nach dem zweiten griechischen O, nämlich dem großen, sprich dem „o mega“ benannt wird. Wenn die Omikron-Mutante schon so „besorgniserregend“ ist, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einer Ersteinschätzung mitteilte, was dann, wenn das Omega-Virus kommt, benannt nach dem letzten Buchstaben des griechischen Alphabets?

Ja, es kann einem so einiges durch den Kopf schießen, wenn man mit Russen zweckfrei sinniert. Eine Pandemie wie die jetzige ist in Moskau noch kein Grund, den Humor zu verlieren. Reiner Humor ist es übrigens nicht – eher eine Mischung aus Sarkasmus, Zynismus und Fatalismus. Mit ihr der Realität zu begegnen, erachtet man als beste Möglichkeit, mit dieser fertigzuwerden. Nicht zufällig ist die Standardantwort auf die Frage nach dem persönlichen Wohlbefinden: „normalno“, was so viel heißt wie: „Es geht, gar nicht schlecht. Gewiss auch nicht besonders gut, weshalb es besser sein könnte. Aber es ist andererseits auch besser, als man hätte erwarten können.“ Kurz: „Es ist, wie es eben ist“.

Mit dieser Haltung hat wohl auch das ziemlich laue Verhältnis zur Impfung zu tun. Einmal abgesehen davon, dass es den Mangel an Vertrauen zeigt, der zwischen Volk und Machthabern besteht und schon lange nicht mehr so klar zutage getreten ist wie in der Pandemie. Der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Levada-Center zufolge haben 50% der Russen keine Angst davor, an Covid-19 zu erkranken. Allerdings ist der Prozentsatz derer, die Angst haben, zwischen August und Oktober von 43 auf 48% gestiegen.

Ironie der Geschichte übrigens, dass am heutigen Mittwoch in London ein Brief der aus Preußen gebürtigen, russischen Kaiserin Katharina der Großen an einen Grafen aus dem Jahr 1787 versteigert wird. In ihm beschreibt sie, wie eine Kampagne für die allgemeine Pockenimpfung gestartet werden soll. Von Impfzentren über die Eignung der Ärzte bis hin zur Finanzierung ist dort die Rede. Das Volk müsse einfach überzeugt werden, dann würde man eine Massenimpfung schaffen, meint sie.

Sie gilt als eine der Pionierinnen der Impfpolitik in Europa. Entsprungen ist ihr Engagement auch daraus, dass ihr Mann als Kind an Pocken erkrankt war und mit Langzeitschäden lebte. Die Impfkampagne führte sie mithilfe eines englischen Arztes durch. Bemerkenswert, dass sie trotz Anraten des Arztes nicht abwartete, bis andere Frauen oder ihr Sohn geimpft wären, sondern mit ihrem eigenen Beispiel gleichsam als Testperson voranging. „Ich antwortete, dass es beschämend wäre, nicht mit mir selbst anzufangen“, schrieb sie an Friedrich II. von Preußen. Zum Zeitpunkt ihres späteren Todes im Jahr 1796 waren immerhin bereits fast zwei Millionen Russen gegen Pocken geimpft.

Darüber habe ich mit meinem alten Bekannten übrigens noch nicht geredet. Am Sonntag teilte er mir nur kurz mit, dass das jüdische Chanukka-Fest beginne und es also Zeit zum Feiern wäre.