Die Rechten lachen sich ins Fäustchen
EU-Kommission
Die Rechten lachen sich ins Fäustchen
Von Detlef Fechtner
Das EU-Parlament gefährdet gerade mit dem unseligen Personal-Hickhack die eigene Glaubwürdigkeit.
Ein kluger Mensch hat einmal gesagt, europäische Gesetzgebung erinnere an Kricket, also jenes Spiel, bei dem 22 sonderlich gekleidete Männer viele Stunden auf einem Rasenfeld verbringen. 1% der Europäer beobachten das Spiel fasziniert und geraten über jedes Detail in Erregung. 99% aller Europäer hingegen kennen die Spielregeln nicht, weder beim Kricket noch beim EU-Gesetzemachen, und beobachten deshalb das Treiben kopfschüttelnd und irritiert.
Dass kaum jemand versteht, was in Brüssel gerade vor sich geht, ist insbesondere in diesen Tagen zu beobachten. Dabei ist die Aufgabe, die gegenwärtig erledigt werden soll, im Grunde glasklar: Immer wenn sich eine neue EU-Kommission formiert, darf das EU-Parlament entscheiden, ob es die Kandidaten für geeignet befindet oder nicht. Zwei Wochen lang fanden stundenlange Anhörungen statt, die „Grillsaison“ wurde am Dienstag abgeschlossen. Aber das EU-Parlament ist dennoch nicht in der Lage, bei sieben Bewerbern den Daumen zu heben oder zu senken.
Kampf über Bande
Grund dafür ist ein Kampf zwischen Christdemokraten und Sozialdemokraten. Die SPD und ihre europäischen Schwesterparteien pochen darauf, dass der Italiener Raffaele Fitto nicht den besonderen Status des Vizepräsidenten erhält. Und sie wollen nicht, dass der Ungar Olivér Várhelyi, ein Vertrauter von Premier Viktor Orbán, weitere fünf Jahre dem Kollegium der EU-Kommissare angehört. Die Konservativen wiederum stellen sich im Gegenzug bei der Spanierin Teresa Ribera quer, die – zuständig für Wettbewerb und für Transformation – die Schlüsselfigur der Sozialdemokraten werden soll.
Bemerkenswerterweise haben diese Widerstände so gut wie nichts mit den Auftritten der Kandidaten bei den Hearings zu tun – ja, nicht einmal mit den Kandidaten. Sondern mit parteitaktischen Überlegungen. Die Christdemokraten wollen die Kandidaten von Orbán und Giorgia Meloni nicht per Schulterschluss mit den rechten Parteien bestätigen, obwohl das (im zweiten Wahlgang) möglich wäre. Denn sonst fürchten sie den Vorwurf, die Brandmauer gegen rechts durchbrochen zu haben. Die Christdemokraten versuchen vielmehr, bei der Bestätigung der italienischen und ungarischen Bewerber Sozialdemokraten, Grüne und Liberale mit in die Verantwortung zu ziehen. Das wiederum bringt die Sozialdemokraten in Rage. Sie legen den Christdemokraten zur Last, dass diese in einzelnen Dossiers, wie zuletzt bei der Entwaldungs-Verordnung, viel weniger Hemmungen haben, eine Mehrheit rechts der Mitte zu nutzen, um Positionen durchzusetzen.
Brandgefährliches Spiel
Man muss die taktischen Spiele nicht im Detail verstehen, um trotzdem zum Schluss zu gelangen, dass die Parteien gerade ein brandgefährliches Spiel treiben. Denn weil kaum jemand außerhalb Brüssels versteht, warum zum Beispiel der Italiener Fitto als EU-Kommissar akzeptiert würde, nicht aber als EU-Vizepräsident, gefährdet das EU-Parlament mit dem unseligen Personal-Hickhack die eigene Glaubwürdigkeit. Die Gefahr ist akut, dass Europas Bürger im Lichte solcher Streitereien dem Narrativ von Rechtsaußen folgen, in Brüssel beschäftige sich eine politische Elite nur mit sich selbst und agiere meilenweit entfernt von den Anliegen der Menschen. Die Einzigen, die sich dieser Tage ins Fäustchen lachen, sind deshalb die Rechten.
Was tun? Die Christdemokraten tun gut daran, sich um belastbare Vertrauensbeziehungen mit Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen zu bemühen, denn mit ihnen haben sie die größte Schnittmenge in den wesentlichen Fragen, auf die es in den nächsten fünf Jahren ankommt. Aber das geht nur, wenn sie im Alltag der Gesetzgebung die Brandmauer zum rechten Rand wirklich ernst nehmen. Gleichzeitig sind die Sozialdemokraten gut beraten, wenn sie sich nicht an symbolischen Stellen (wie etwa der Auswahl von EU-Kommissaren) verkämpfen. Das wiederum geht nur, wenn sie hinnehmen, dass auch Orbán oder Meloni jemanden aus deren Mannschaft in die EU-Kommission entsenden dürfen. Das zu akzeptieren, ist kein Übertreten von roten Linien, sondern die Anerkennung von EU-Recht.