LeitartikelWahlniederlage

Die selbst beschlossene Selbstauflösung Macrons

Das von Macron seit seiner ersten Wahl 2017 wirtschaftlich Erreichte, die von ihm angestoßenen Reformen und Erleichterungen für Unternehmen stehen jetzt auf dem Spiel.

Die selbst beschlossene Selbstauflösung Macrons

Frankreichs Wahlen

Macrons beschlossene Selbstauflösung

Das von Macron seit seiner ersten Wahl 2017 wirtschaftlich Erreichte, seine Reformen stehen jetzt auf dem Spiel.

Von Gesche Wüpper

Noch sind die vorgezogenen Parlamentswahlen in Frankreich nicht entschieden. Doch egal wie die zweite Runde ausgehen wird, steht bereits jetzt fest, dass für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone am 30. Juni eine Ära zu Ende gegangen ist. Denn das Ergebnis des ersten Wahlgangs mit dem rechtsextremen Rassemblement National (RN) als stärkster Kraft zeigt, dass das Konzept Emmanuel Macrons des dritten Weges der Mitte gescheitert ist. Sicher, offiziell dauert seine zweite Amtszeit als Präsident zwar noch bis 2027 an. Doch die Ohrfeige, die Wähler seinem Lager jetzt verpasst haben, lässt ihn extrem geschwächt zurück. Das schadet nicht nur den deutsch-französischen Beziehungen und Europa. Das schadet auch dem Wirtschaftsklima und Frankreichs außenpolitischer Stellung.

Mit seiner Entscheidung, die Nationalversammlung aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen, um für Klarheit zu sorgen, hat sich Macron komplett verkalkuliert. Er hat damit selber die Auflösung der von ihm 2016 als Alternative zu den etablierten Parteien gegründeten Bewegung beschlossen. Vor allem aber hat er die Realität verkannt − den Hass, den viele Franzosen gegen ihn, den distanzierten Vertreter der Pariser Elite, hegen. 54% der Wähler erklärten in einer Umfrage von Harris Interactive x Toluna, ihre Stimme drücke ihre Unzufriedenheit mit Macron und seiner Regierung aus.

Dabei kann sich Macrons wirtschaftliche Bilanz durchaus sehen lassen. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie lange nicht mehr, die Wettbewerbsfähigkeit deutlich gestiegen. Paris hat sich nach dem Brexit nicht nur einen Namen als aufstrebender Finanzplatz in Europa, sondern auch als neuer Hotspot für künstliche Intelligenz und die Start-up-Szene gemacht. All diese Erfolge werden durch den 30. Juni überschattet. Das von Macron seit seiner ersten Wahl 2017 wirtschaftlich Erreichte, die von ihm angestoßenen Reformen und Erleichterungen für Unternehmen stehen jetzt auf dem Spiel. Auch deshalb wird der 30. Juni 2024 als Wendepunkt in die Geschichtsbücher eingehen.

Viele Investoren scheinen den RN als das kleinere Übel im Vergleich zu der neuen Volksfront zu sehen, an der die Linksextremisten von La France Insoumise (LFI) beteiligt sind. Zwar will der RN nicht mehr wie noch vor ein paar Jahren aus der EU austreten. Doch er will sie von innen verändern. Auch sein Versuch der letzten Wochen, Wirtschaftsvertreter zu umgarnen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er viele seiner bisherigen Versprechen nicht eindeutig hat fallen lassen, sondern seine Absichten bewusst im Unklaren lässt. Dazu gehören die Aufhebung der Rentenreform Macrons, die Verstaatlichung der Autobahnbetreiber und der Abbau von Windkraftanlagen.

Anstatt jetzt von dem positiven Schwung der Olympischen Spiele in Paris zu profitieren, droht Frankreich politische Instabilität. Damit einhergehende Unsicherheiten dürften die wirtschaftliche Stimmung belasten und die Suche nach Lösungen für die strukturellen Probleme erschweren. Egal, welches der möglichen Szenarien nach dem zweiten Wahlgang eintreten wird, fest steht dabei bereits jetzt, dass die künftige Regierung den unternehmerfreundlichen, liberalen Kurs Macrons nicht fortsetzen dürfte. Die Aussetzung der neuen Reform der Arbeitslosenversicherung, mit der Premierminister Gabriel Attal Sonntagabend auf die Verschiebung der Machtverhältnisse reagierte, liefert bereits einen kleinen Vorgeschmack.

Mit dem Votum vom Sonntag entfernt sich Frankreich auch von seinem Wahlspruch Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Denn egal wie sehr der RN im letzten Jahrzehnt an seinem Image gefeilt hat, handelt es sich bei ihm noch immer um eine rechtsextreme, europafeindliche Partei mit rassistischen Wurzeln. Die jüngsten Äußerungen von Parteichef Jordan Bardella, der Ausländer und Franzosen mit doppelter Staatsbürgerschaft von bestimmten, sensiblen Posten ausschließen will, zeigen das. Gerade die French Tech und der Finanzplatz Paris sind jedoch auch auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen. Mit einer Regierung, an der der RN beteiligt ist, würde Frankreich seine wiedergewonnene Strahlkraft verlieren.

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