Die Sorgen der Bouquinisten
Sie gehören zu Paris wie die Kathedrale Notre-Dame, der Eiffelturm oder der Invalidendom. Das Seine-Ufer ohne die grünen Verkaufsboxen der Bouquinisten? Undenkbar. Immerhin bieten diese Freiluft-Antiquare ihre Waren hier schon seit gut 450 Jahren an. Doch die letzten Jahre haben ihnen zugesetzt.
Erst haben die Protestveranstaltungen der Gilets Jaunes im Winter 2018/19 Besucher aus dem In- und Ausland verschreckt, dann legten ein Jahr später die Streiks gegen die Rentenreform den öffentlichen Nahverkehr lahm, bevor Corona und strenge Ausgangssperren in Frankreich das öffentliche Leben einschränkten.
„Wir haben nicht mehr denselben Betrieb wie vor der Pandemie, auch nicht wie vor der Gelbwesten-Bewegung“, sagt Jérôme Callais, der Vorsitzende der Vereinigung der Bouquinisten von Paris. Nur gut ein Viertel der 220 Bouquinisten habe während der Woche geöffnet, an den Wochenenden mehr als die Hälfte, schätzt er. Um den Freiluft-Antiquaren zu neuem Schwung zu verhelfen, hat die Stadt Paris gerade eine Ausschreibung für 18 freie Standorte gemacht. 72 Kandidaten haben sich dafür beworben – so viele wie schon lange nicht mehr. Darunter Trödler, Buchliebhaber, aber auch Künstler.
Diejenigen, die jetzt den Zuschlag erhalten, müssen zwar ihren Vorgängern die Verkaufsbox abkaufen, doch angesichts der schwierigen Lage der Bouquinisten verzichtet die Stadt auf Nutzungsgebühren. Sie unterstützt auch ihre Kandidatur, als Weltkulturerbe von der Unesco anerkannt zu werden. Vor 2024 dürfte das jedoch vermutlich nichts werden, denn in diesem Jahr bewerbt sich Frankreich mit dem Baguette. „Paris ohne die Bouquinistes wäre kein Fest mehr“, sagt Schriftstellerin Anna Gavalda in Anspielung auf Ernest Hemingway. Gavalda war eine der Ersten, die die Idee der Kandidatur bei der Unesco unterstützte. Zum immateriellen Kulturerbe Frankreichs gehören die Freiluft-Antiquare vom Seine-Ufer bereits.
Doch das alleine dürfte nicht ausreichen. Denn nicht nur die Gilets Jaunes, die Proteste gegen die Rentenreform, Covid und der Brand von Notre-Dame haben den Bouquinisten zugesetzt, weil seitdem weniger Touristen nach Paris kommen. Sie leiden genau wie andere Antiquare und Buchhandlungen auch unter der Konkurrenz von Amazon und Co. „Die Leute lesen weniger und kommen weniger auf uns zu“, sagt Jérôme Callais.
Die Touristen seien immer noch Fans von ihnen, meint seine Bouquiniste-Kollegin Elena Carrera. Aber für die Pariser selber seien sie ähnlich wie die Denkmäler ein wenig in Vergessenheit geraten. Bewohner des Großraums Paris machen nur ein Viertel des Umsatzes der Bouquinistes aus, Touristen dagegen die Hälfte. Viele Pariser gingen an ihnen vorbei, ohne sie wirklich zu bemerken, sagt Carrera. Damit sich das ändert, hat sie zusammen mit einer anderen Bouquinisten-Kollegin ein Festival gegründet.
Callais hofft vor allem auf jungen Nachwuchs durch die 18 neuen Kollegen. Denn seinen Angaben zufolge sind 80% der bereits etablierten rund 220 Bouquinisten älter als 50 Jahre, 40% älter als 65. Wenn es keine Erneuerung gäbe, sterbe der Beruf aus, warnt Callais. Bereits heute arbeiten nicht alle Bouquinisten Vollzeit. Es sei besser, noch eine andere Einnahmequelle zu haben, sagt einer von ihnen. Wenn es gut laufe, komme er auf 1500 Euro brutto im Monat, berichtet ein anderer. Wieder ein anderer gibt einen Umsatz von rund 30000 Euro im Jahr an.
Ironischerweise war es der Geldmangel, der einst zur Entstehung der Bouquinisten führte. Im Lexikon Furetière wurden sie 1690 als „arme Buchhändler“ beschrieben, die weder Mittel für einen Laden noch für neue Waren hätten und deshalb gebrauchte Bücher auf dem Pont-Neuf und am Seine-Ufer anbieten mussten. Einfach so seine Ware auf den Quais anbieten, geht längst nicht mehr. Die fast 1000 Verkaufsboxen, die sich heute auf einer Strecke von drei bis vier Kilometern vom Pont-Neuf aus Richtung Osten am Seine-Ufer aneinanderreihen, sind strengen Regeln unterworfen, denn sie müssen exakt 8,60 Meter lang und dunkelgrün angestrichen sein. Auch darf ein Bouquinist in höchstens einer seiner Verkaufsboxen Souvenirs für Touristen anbieten.